Echtzeit

Dienstag, 10. Mai 2005

Das Elefantenrennen

Tatort: Autobahn A7, Ulm in Richtung Würzburg, zwischen Anschlussstelle Bad Windsheim und Uffenheim-Langensteinach

e_rennen
Symbolbild, Quelle: Photocase, Danke an cruisi

Es ist ein Rennen: Ein tschechischer Transporter für Lebendvieh wird nun schon mehrere Stunden von einem in Gelb- und Grüntönen gehaltenen 40-Tonner über deutsche Autobahnen gejagt.

Auf einer kurzen, aber dafür unheimlich flachen Gefällstrecke zieht der verfolgende Fahrer aus dem Windschatten und lenkt sein überschweres Renngerät auf die Überholspur. Wie zur Entschuldigung betätigt er einmal kurz den Blinker, als auch die letzte der sechs Achsen die Mittellinie überquert hat.
Wenige Meter dahinter betätige ich panisch das Bremspedal meines kleinen, importierten Autos. Einen knappen Meter bevor meine Stoßstange mit dem Bild-Anti-Maut-Aufkleber des LKWs in Kontakt geraten könnte sinkt der Zeiger meines Tachos unter die magische Marke von einhundert Stundenkilometern. Der Abstand zum bedrohlich aufragenden Heck des Sattelschleppers wächst wieder auf ein annehmbares Maß.
Etwas verspätet wird Adrenalin in meine Adern gepumpt, mein Herzschlag beschleunigt sich, die Fahrgastzelle meines Kleinwagens ist plötzlich ungemütlich warm. Ich regle die Heizung herunter, der Luftstrom kühlt meinen Körper ab.

Immerhin hat der Schwung des überholenden Lasters ausgereicht, ihn bis auf Höhe des gegnerischen Führerhauses zu tragen. Doch irgendetwas scheint sich dort vorne abzuspielen, denn beide Gefährte(n) ziehen ihre Bahn nun parallel. Keiner weicht auch nur einen Millimeter zurück.
Ich bin ja für Völkerverständigung, aber muss sie sich unbedingt auf einer Asphaltbahn entwickeln, die mit 25 Metern pro Sekunde unter den Gesprächspartnern dahinrauscht – vor allem wenn diese in zwei unterschiedlichen Fahrzeugen sitzen?

Zwei Kilometer geht es jetzt schon so und langsam beginne ich mich ernsthaft zu fragen, ob zwischen den Fahrern der beiden Gütertransportvehikel tatsächlich Konversation stattfindet:
Was tun Lastkraftfahrer, wenn sie wie in diesem Fall minutenlang nebeneinander her fahren? Winken sie sich freundlich zu wie Motorradpiloten, die sich auf einer abgelegenen Landstraße begegnen? Ignorieren sie sich, den Blick immer starr auf die Fahrbahn gerichtet und verstohlen auf den Tachometer schielend?

Auch ein kleiner Anstieg ändert nichts an der verfahrenen Situation. Hinter mir hat sich bereits eine bemerkenswerte Anzahl Schaulustiger eingefunden. Vorzugsweise in Wägen der Marken Mercedes, Audi und BMW sitzen Anzugträger mit mühsam beherrschten Gesichtszügen und starren auf eine gelb-grün gestreifte Heckklappe als ob sie auch nur in irgendeiner Weise Einfluss auf das Geschehen vor ihnen hätten. Ältere Kleinwägen beherbergen enttäuschte Gesichter. Sie trauern der nur noch in Form von abkühlenden Bremsscheiben vorhandenen kinetischen Energie hinterher, die einem nur mühsam kontrollierten Bremsmanöver zum Opfer fiel und fragen sich, wie sie ihre alte Rostlaube jemals wieder auf 140 Stundenkilometer beschleunigen sollen.

Aber was ist das? Der linke Bolide scheint das Duell für sich entscheiden zu können. Zentimeterweise schiebt er sich an seinem Kontrahenten vorbei. Ich kann schon fast die Anhängerkupplung des Schweinelasters sehen. Nicht mehr lange, dann herrscht wieder freie Fahrt!

Das Schicksal jedoch ist unerbittlich. Die Autobahn neigt sich an diesem Punkt einer langgezogenen Rechtskurve zu, welche mit grausamer Gleichgültigkeit jeglichen Geschwindigkeitsvorteil des Sattelschleppers auffrisst. Hätte die Straße ein Gesicht würde sie mich jetzt sicher hämisch angrinsen: Der Status Quo ist wieder hergestellt.

Ob ich jemals ankommen werde, ob Bissspuren im Lenkrad mein Auto optisch aufwerten und ob ich nach einem viertelstündigen Feinstaubbombardement jemals wieder in der Lage sein werde, etwas anderes als Diesel am Geruch zu erkennen – das ist eine andere Geschichte, und soll ein andermal erzählt werden.

Mittwoch, 27. April 2005

Hoje tem Capoeira - Darmstadt im Tanzfieber

Mit heißen Rhythmen und feurigen Rodas begeisterten Capoeiristas aus ganz Europa und Brasilien am vergangenen Wochenende das Darmstädter Publikum.

"Ginga! Alle zusammen!" - schallt es durch die geräumige Turnhalle. An die hundert linke Füße stampfen zeitgleich auf den Boden. Weiße Figuren bewegen sich rhythmisch in Konformität - die Arme schützend vor dem Gesicht und in tiefer Stellung von einem auf das andere Bein tanzend. Doppelt so viele Augenpaare fokussieren ein kleines braungebranntes Männchen vor ihnen. Es gibt mit brasilianischem Akzent Anweisungen. "Meia-lua des compasso e aú!" Die weiße Masse reagiert blitzschnell mit einem halbmondförmigen Rundtritt in die Luft und schlägt ein Rad. Es scheint wie ein Dialog, der auf dem Prinzip nur weniger Worte besteht - fast wie eine eigene Sprache für Eingeweihte.

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Quelle: Markus Oklitz; Bewegung in der weißen Masse

Hinter dem grinsenden Männchen stehen drei weitere Figuren mit dunkler Haut - alle tätowiert. Der eine gibt auf einer hölzernen Trommel den Grundrhythmus vor. Die anderen beiden schlagen mit einem Holzstäbchen auf eine straffe Stahlsaite, die an einem Stock gespannt ist. Am unteren Ende hängt ein Kokosnuss-förmiger Klangkörper, der ein seltsames doch eindringliches Geräusch hervorbringt. "Hey, hoje tem Capoeira" fügen sich die melodiösen Stimmen der Musiker nun zur Musik. Das Instrument ist ein Berimbau, und das Lied, das die Musiker anstimmen, handelt vom Tanzen und Singen. Genauer gesagt von Capoeira.

Capoeira - dieses Wort geistert mittlerweile immer häufiger durch europäische Städte und erregt entsprechende Aufmerksamkeit. Es ist die Bezeichunug für einen Sport, der Tanz und Kampf vereint. Die Spieler deuten Tritte lediglich an. Sie bedienen sich wesentlicher Elemente aus der Akrobatik. Gegenüber anderen Kampfsportarten soll der Gegner nicht getroffen oder gar verletzt werden. Es ist ein Spiel, in dem sich jeder mit seinem Fähigkeiten darstellen kann, ohne sich verstecken zu müssen. "Capoeira fängt im Herzen an", verdeutlicht Cigano - Leiter der Gruppe Capoeira Brasil in Darmstadt - die Mentalität der Gemeinsamkeit. In Zusammenarbeit mit dem Begründer des Capoeira Brasil Mestre Paulo brachte er vor fünf Jahren das brasilianische Feuer nach Darmstadt.

Mittlerweile formte sich die weiße Masse zu vier Kreisen, in deren Mitte sich immer zwei Leute gegenüber stehen. Stehen stimmt gar nicht. Sie tanzen, sie treten, sie drehen sich, sie weichen einander aus, sie nähern sich. Stillstand gibt es in keinem Moment. Auch nicht bei den Capoeiristas in der Horde - brasilianisch: Roda - ringsum. Sie bewegen sich rhythmisch zur Musik, singen, klatschen dazu in die Hände. "Hoppa", hört man sie rufen, wenn sich mal wieder einer der im Kreis tanzenden kunstvoll um die eigene Achse schwingt oder einen Rückwärtssalto schlägt. Es schwappt eine Ausgelassenheit, Fröhlichkeit und ein Bewegungsdrang auf alle Umherstehenden über, der schnell an den Karneval in Rio erinnert.

Kein Wunder: Diese Form des Bewegens findet ihren Ursprung in Brasilien. Genauer gesagt unter den von Afrika nach Brasilien verschifften Sklaven. Im Jahr 1500 landete Pedro Álvares Cabral auf dem brasilianischen Festland. Nachdem er schlechte Erfahrungen mit den Eingeborenen machte, besorgte er sich Arbeiter aus Angola, die mit hunderten von Schiffen auf den anderen Kontinent gebracht wurden. Sie brachten das traditionelle Capoeira Angola mit sich, das auch heute noch als eigene Stilrichtung gilt und gleichzeitig den Ursprung für das populär gewordene brasilianische Capoeira bildet.

Um einige der weißen Hüften sieht man bunte Stricke baumeln. Die meisten sind gelb oder orange. Sie zeigen den anderen, was man drauf hat. Um so einen zu bekommen, muss man sich auf einer Taufe beweisen und mit einem Mestre spielen - das nennen die Eingeweihten "Baptizado". Es ist das größte Event für Capoeiristas, denn dort ernten die weißen Spieler die Lorbeeren für viel Schweißarbeit, Blasen an den Fußsohlen, Zerrungen oder auch mal blaue Augen oder blutige Lippen. Die Belohnung besteht in der Verleihung der "Corda" in nächsthöherer Rangfarbe.

Nur einmal pro Jahr findet in Darmstadt eine Baptizado statt. Dazu werden Capoeiristas aus allen Erdteilen eingeladen, um an einem Wochenende gemeinsam zu trainieren, zu singen, zu tanzen, aber auch zu feiern - ganz nach brasilianischer Tradition. Am Freitagabend wurde das Event bereits mit einer Straßen-Roda eingeleitet. Umringt von Schaulustigen flogen die Spieler durch die Lüfte und hackten mit ihren Fußspitzen haarscharf am Ohr ihres Gegenübers vorbei. Die beiden nächsten Tage standen danach völlig unter brasilianischem Stern. Das bedeutet: Fünf Stunden Training, abends Caipirinha und Samba in der Darmstädter Central Station, schlafen, und dann wieder vier Stunden Training. Teil des Workshops sind auch traditionelle Tänze mit Klanghölzern oder Gesangsstunden bei einem der eingereisten Mestres.

strassenroda
Quelle: Markus Oklitz, Roda in den Strassen Darmstadts

Am Ende des zweiten Tages geht das Training scheinbar fließend wie die runden Bewegungen im Capoeira in den Höhepunkt des Wochenendes über: die Taufe. Vorher noch müde Gesichter werden plötzlich wieder hellwach. Die weißen Figuren tanzen nicht länger im Kreis, sie tippeln nervös von einem Bein auf das andere. Es formiert sich ein weiter Kreis aus allen Teilnehmern und stimmt wieder zum Lied an. Die Trommeln hämmern unaufhörlich im Rhythmus, Berimbaus schneiden die Luft mit ihren zurrenden Klängen, die Stimmen der Capoeiristas schallen im Chor: Hoje tem Capoeira! Heute gibt es tatsächlich Capoeira stellt dann auch der extra eingeflogene alte Hase Mestre Paulo fest. Mit seiner gegerbten Haut und den weißen Haaren wirkt er tatsächlich wie ein Urvater. Er spricht nur portugiesisch, ein anderer übersetzt. Es geht eine Aura an Autorität und Weisheit von ihm aus, die jeden seiner Schützlinge zum Respekt ermahnt. Trotzdem entsteht ein Gefühl der Gemeinschaft, der Vertrautheit. Der Meister sagt Dinge wie: ein "großer Tag", "große Freude hier zu sein" oder "das Herz eines Capoeiras". Die meisten Herzen der Anwesenden schlagen in diesem Moment besonders heftig. Doch mehr wegen der bevorstehenden Prüfung, als aus Angst vor dem Mestre Paulo. Andächtig stehen sie in den Reihen und warten auf den Startschuss.

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Quelle: Markus Oklitz, Die Baptizado als Höhepunkt

Und schon spielt das Berimbau zum Tanze auf. Die Capoeiristas erheben wieder ihre Stimmen und zappeln nervös im Takt. Es liegt eine spürbare Anspannung in der Luft. Zwei alte Hasen schwingen sich plötzlich in die Lüfte. Im Nu ist die Anspannung zerrissen und die feurige Atmosphäre steigt wie in einem Dampfkessel. "Meia-Lua compasso, negativa, dann rolé und raus mit Aú..." Die hell erleuchteten und trotzdem aufmerksamen Augen der Corda-Anwärter gehen noch einmal die Schrittfolgen durch. Jeder ist dran, einer nach dem anderen. Der Respekt vor den Meistern ist begründet. Sie machen sich einen Spaß daraus die Neulinge auf den Boden zu schmeißen oder sie durch kleine Zwischenhiebe umzuwerfen - mit einer Leichtigkeit, als würden sie mit Strohpuppen spielen.

Nach ihrem Kampf stehen die frisschen Kordelträger mit hochrotem Kopf und außer Puste in der Roda - glücklich und zufrieden. Die Strapazen des vergangenen Dreitage-Capoeira-Marathons machen sich langsam bemerkbar. "Machst Du heute abend noch was?" Nur ein vorwurfsvolles Stirnrunzeln als Antwort. Fast alle wünschen sich nur noch ein warmes Essen, eine erfrischende Dusche und dann das Bett. Nach dem letzten Durchgang kehrt eine angenehme Stille in der Horde ein. Cigano spricht die letzten Worte für das Wochenende. Er wirkt ebenfalls sehr zufrieden , was er auch offen bekundet. Am Ende seiner Rede legt er die rechte Faust auf sein Herz, als wolle er es mit allen teilen. Plötzlich schnellt sein Arm nach vorne und er ruft in die Menge: "Salve!" Wie aus der Pistole geschossen kommt die prompte Antwort: "Salve!", schallt es in einem aus den beinahe hundert Kehlen seiner Schüler. Capoeira mit Herz.

Freitag, 22. April 2005

Ein Inquisitor auf dem Stuhl Petri

Papst Benedikt XVI., bis zum vergangenen Dienstag bekannt als Joseph Kardinal Ratzinger stand vom 25. November 1981 an der Kongregation für die Glaubenslehre vor. Werden die Wurzeln dieser Organisation betrachtet, so hatte Joseph Ratzinger beinahe 24 Jahre die Position des Großinquisitors inne.

Als Glaubenskongregation existiert die innerkirchliche Organisation seit 1965. Von 1908 bis zu diesem Zeitpunkt hieß sie Heilige Kongregation des Heiligen Offizium. Gegründet wurde sie jedoch im 16. Jahrhundert als Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition.

Entgegen der landläufigen Meinung hatte die kirchliche Inquisition als Organisation nur noch wenig mit der brutalen Ketzer- und Hexenverfolgung, dem grausamen Verhör unter Folter und der blinden Verbrennung von vermeintlich Schuldigen zu tun. Dies wurde in früheren Jahrhunderten betrieben, meist aus weltlichen Motiven oder zumindest der Verquickung von weltlichen und kirchlichen Interessen heraus.

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Symbolbild, Quelle: Stock.Xchng, thanks to algiamil

Die Inquisitionsprozesse waren – nach mittelalterlichem Recht – faire Verhandlungen. Obgleich auch von der Kongregation Strafen verhängt wurden, hatten diese doch meist den Charakter einer Buße – Kirchenbesuche oder Pilgerfahrten. In einigen Fällen wurde allerdings auch hier lebenslange Haft oder die Todesstrafe verhängt.

Die Kongregation hat ihre Bestimmung darin, die Kirche vor Irrlehren zu schützen. Sie hat „die Aufgabe, die Glaubens- und Sittenlehre in der ganzen katholischen Kirche zu fördern und schützen“ und die Richtung der Glaubenslehre im Allgemeinen zu bestimmen.
Wurde dies im Mittelalter durchaus noch mit Gewalt durchgesetzt, wird diese Aufgabe in der Neuzeit in Besprechungszimmern und Büros bewältigt, „damit auf die durch den Fortschritt in Wissenschaft und Forschung entstandenen Probleme eine angemessene Antwort im Licht des Glaubens gegeben werden kann“.
Oft geschieht dies durch Abschottung der Lehre gegen äußere Einflüsse. Unzeitgemäße Dogmen, Erstarren in überlieferten Ritualen und Kirchenflucht sind die Folge.

Was bedeutet sein früheres Amt nun für das Wirken Benedikt XVI. als Papst? Warum wurde er gewählt und was haben wir von ihm zu erwarten?
Der frühere Kardinal Ratzinger gilt – wohl auch weil er Leiter der Glaubenskongregation war – in Deutschland als überaus konservativ. Er ist ein gebildeter Theologe und hat einen Einblick in die katholische Lehre wie wahrscheinlich kein zweiter Mensch – zumal er sie über viele Jahre persönlich bestimmt hat.
Mindestens einmal pro Woche soll er sich mit Papst Johannes Paul II. in einem persönlichen Gespräch beraten haben. In diesen Unterhaltungen wurden die Weichen für die Zukunft der katholischen Kirche bestimmt. Somit hatte Benedikt XVI. auch schon vor seiner Wahl zum Pontifex großen Einfluss auf die gesamte Kirche.

Eben daher ist zu erwarten, dass sich in der Amtszeit des neuen Papstes nicht viel am bisherigen Kurs der Kirche ändern wird. Dies gilt voraussichtlich besonders für umstrittene Themen wie Verhütung, Abtreibung und dergleichen.
Daraus lässt sich auch seine rasche Wahl erklären:
Nach der langen Amtszeit von Johannes Paul II. suchte das Konklave einen Bewahrer, einen Verwalter dieses großen Erbes, bis in einigen Jahren ein „echter Nachfolger“, vielleicht sogar ein Erneuerer gewählt werden kann. Für diese These spricht auch Benedikt XVI. angenommener Gesundheitszustand. Während seiner Zeit als Kardinal bot er dem damaligen Papst mehrmals seinen Rücktritt an – angeblich auch aus gesundheitlichen Gründen. Dieser lehnte jedoch stets ab und beließ Ratzinger im Amt.

Benedikt XVI. jedoch nur als Platzhalter, gewissermaßen als Variable zu sehen, wäre zu kurz gegriffen. Er hat definitiv eigene Vorstellungen vom Weg der katholischen Kirche. Er ist ein intelligenter Mann und auch offen für Neuerungen.
Als bester Beweis dafür ist sein Bemühen anzusehen, die Jahrhunderte lang verschlossenen Archive der heiligen Inquisition zu öffnen.

Nach Meldungen der italienischen „La Repubblica“ hat Kardinal Ratzinger bis kurz vor dem Tod Johannes Paul II. an bedeutenden Dokumenten gearbeitet:
Angeblich sollen wiederverheiratete Katholiken in Zukunft wieder zu den Sakramenten zugelassen werden, sofern die Scheidung „schuldlos“ gewesen sei. Ebenso soll die Haltung der Kirche zur Ökumene gelockert werden und es auch Protestanten erlaubt sein, die Kommunion zu empfangen.
Laut Karl Kardinal Lehmann, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, gebe es sogar Grund zur Hoffnung, dass der Vatikan unter Benedikt XVI. seine Haltung zum Diakonat der Frau überdenken werde.

Mittwoch, 20. April 2005

Die Papst-Aufmacher des Tages

Der IQ-Test des Tages: Welche Headline passt nicht in die Reihe?

Bild
WIR SIND PAPST!

FAZ
Joseph Kardinal Ratzinger ist Benedikt XVI.

Rheinische Post
Ratzinger!

Hamburger Morgenpost
Der neue Papst

TAZ
HABEMUS PAPAM

Süddeutsche Zeitung
Terrorprozess platzt wegen Behörden-Chaos

sz_pope

Huch, was ist denn hier passiert? Das weltgeschichtliche Ereignis treibt die deutschen Printgiganten in die verschiedensten Winkel der Berichterstattung.

Die Bild verdrängt unwerte Informationen von ihrer Titelseite, um den neuen Papst 34 cm hoch vom Anschnitt bis zum Scheitel abbilden zu können. Darüber eine Parole, als hätte Ratzinger das Golden Goal für Deutschland in den Kasten gezirkelt.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands, dem 11. September und dem Tod von Johannes Paul II. ziert zum vierten Mal in der Geschichte der FAZ ein Bild die Titelseite - der weis(s)e Papst auf schwarzem Grund.

Der ökomenische Fanblock steht gesammelt hinter der Rheinischen Post und brüllt: R-A-T-Z-I-N-G-E-R!

Die Mopo hält sich mit iher Headline dieses Mal eher im Hintergrund und wartet lieber auf den nächsten Skandal um Dieter Bohlen zur Auflagensteigerung.

Die Taz nimmt den "Hardliner" zwar nicht in die Headline ihres heutigen Brennpunktes Nr. 1, aber weist in der Unterzeile wie immer dezent auf die erzkonservative Haltung von Ratzinger hin.
"Oh mein Gott!" - die Berlin-Ausgabe sieht gar völlig schwarz.

Und der Lokalmatador aus Benedikts Heimat?

Während der weiße Rauch aus dem Schornstein der Sixtischen Kapelle in den Himmel über Rom stieg, schienen die bayrischen Schreiberlinge der SZ bereits benebelt.
Dieser Kardinalsfehler sollte am nächsten Morgen durch die klammheimliche Korrektur des E-Papers ausgebügelt werden. Gespannt wie Flitzebögen warten wir auf die morgige Ausgabe.

Dienstag, 19. April 2005

Lasst die Glocken läuten für den neuen Papst

Ein deutscher Internet-Anbieter mit einer ganz außergewöhnlichen Message und Sichtweise des Konklave

papst mal anders

Quelle: Freenet

Was soll man dazu noch sagen, außer: Der Papst der Moderne ist gar nicht so konservativ!

P.S. Vielen Dank an Frau Schmid für den Screenshot ;-)

Joseph Ratzinger ist neuer Papst

Das Konklave dauerte gerade einmal 26 Stunden. Um 17:57 Uhr stieg weißer Rauch über der Sixtinischen Kapelle auf, das Zeichen für einen erfolgreichen Wahlgang.
Nun steht Kardinal Joseph Ratzinger als neuer Papst fest. Der neue Name des Niederbayern lautet Benedikt XVI.
Gegen 18:50 Uhr präsentierte sich das neue Oberhaupt der katholischen Kirche erstmals der Weltöffentlichkeit und ließ sich von Tausenden Gläubigen auf dem Petersplatz zujubeln.

Bereits im vierten Wahlgang erreichte Kardinal Ratzinger die erforderliche Zweidrittelmehrheit aller Stimmberechtigten. Somit geht die vergangene Konklave als eine der kürzesten in die Geschichte ein.

Kardinal Ratzinger alias Benedikt XVI gilt als konservativ, daher wird angenommen, dass er den Kurs des bisherigen Pontifex fortsetzt.

Montag, 4. April 2005

Der Papst im Ofen meiner Oma

Eine satirische Bewertung des Medienspektakels um den Tod des Papstes.

Kaum, dass ich mich auf dem soften Ohrensessel nieder gelassen habe, biegt sie mit freudig strahlenden Augen um die Ecke und streckt mir einen Teller mit Leckereien entgegen. „Hier mein Junge, greif doch zu!“ Gerne würde ich ablehnen, doch ich weiß gleichzeitig wie unmöglich dieser Gedanke ist. Drücke ich meinen Finger auf das nagelneue Touchpad der Bedienung vor der schwarzen Mattscheibe am Eingang des Hauses meiner Großmutter, weiß ich schon, worauf ich mich die nächsten Stunden einzulassen habe. Es ist ein Spiel, bei dem ich mich jedes Mal von neuem entschließe mitzumachen. Wie oft hatte ich schon versucht dem zu entkommen und mich letztendlich damit abgefunden, dass ich gewisse Erwartungen zu erfüllen habe.

Ich schnaufe also einmal kurz durch und nehme mir eine Reportage von ihrem Pralinenteller. „Das ist eine neue Spezialmischung!“ erklärt mir Oma und es wird mir bewusst, dass ich wieder einmal das Versuchskaninchen für eine Rezeptur bin, von der sie selbst noch nicht recht überzeugt zu sein scheint. Mühsam schlucke ich den Brocken hinunter. Meine gustatorischen Knospen in der Mundhöhle schlagen Alarm, da sie den übermäßig portionierten Anteil süßer Sensation in Windeseile entlarven. Der bittere Beigeschmack vom Tod des höchsten christlichen Oberhauptes und die Gewissheit, dass es sich um diese Sorte Kekse handelt, von denen man schon nach dem ersten Bissen mehr haben will, klingen in meiner Kehle nach. „Ich weiß doch, was Dir schmeckt, mein Junge. Und alle anderen mögen sie auch!“ Es kommt mir vor, als bestünde ihr Lebenswerk schon immer nur darin, meiner gesamten Sippschaft ein gequält zufriedenes Gesicht abzuringen. Am besten reagiere ich gar nicht, denke ich mir, es ist ohnehin zwecklos. „Was steht denn heute auf dem Speiseplan, Oma?“ frage ich, um mich der Rezension des eben gereichten Häppchens zu entziehen. „Ach weißt du, bei den Katholiken drüben ist der Papst gestorben, da dachte ich, ich mache was draus!“ Mir schwant Böses. Immer wenn so etwas geschieht, dann fährt meine Oma volles Geschütz auf, muss man wissen. Und sie ist eine Meisterin der Improvisation. Nicht etwa mal eben nur ein kleines Gericht, damit man weiß, wie das so schmeckt, nein, nein, ihr komplettes Umfeld wird solange mit ihrer Kochkunst bombardiert, bis jede Pore des Körpers davon ausdünstet und noch Tage danach der Geschmack des Medienschmauses auf der Zunge liegt. Das letzte Mal, dass Oma für die gesammelte Verwandtschaft ein derartiges Prozedere veranstaltete, muss um Weihnachten gewesen sein. Da gab es asiatisches Allerlei, Thailänder Strandgeschrei und als Dessert Mousse au tiers monde mit Schicksalsschlag und Bitterschokolade obendrauf. Und die ganze Familie saß um die gefüllte Tafel und rief fast im Chor: „Ja, gib uns mehr davon, fülle uns noch eine Portion auf den Teller.“ Wer dann immer noch nicht genug hatte, konnte später noch in die runde Blechdose greifen und sich ein paar Spendenkeksen schmecken lassen. Ich erinnere mich dunkel, wie ich mich auf der Nachhausefahrt fast übergeben hätte. Mein Vater sagte nur, dass das alles schon seine Richtigkeit und auch seine positiven Seiten hätte. Gerne hätte ich ihm geglaubt, aber noch Wochen nachher wurde mir beim Gedanken an den Festtagsschmaus speiübel. Ich nahm mir damals vor, beim nächsten Besuch meiner Großmutter klüger zu sein: „Nein danke Oma, eine Portion reicht mir völlig. Ich muss auch bald los und komme lieber morgen wieder vorbei, wenn ich wieder Hunger habe.“ Jetzt höre ich mich lügen: “Ui, das sieht ja toll aus, Oma, da hast du dir aber wirklich wieder was tolles einfallen lassen. Und ich habe wirklich großen Hunger!“

Pünktlich um acht steht also das Entree - ein internationaler Eintopf aus Protesten im Gazastreifen, Debatten über die Gesundheitsreform aber vor allem den letzten Stunden des Papstes - dampfend vor mir. Das Eintauchen des Löffels ist hierbei nicht unerheblich, denn der erste Geschmack gibt Ausblick auf den weiteren Speiseplan. Nach dem ersten Gang folgt direkt im Anschluss Menschenauflauf a la Petersplatz, gespickt mit jungem Gemüse an einer sämigen Soße aus Expertenmeinungen und Hintergrundinformationen. Dazu reicht Oma einen „Trois Fenêtre“, der zwar langweilig schmeckt, aber nach den ausführlichen Erläuterungen meiner Gastgeberin ein wirklich interessantes Tröpfchen sein muss. Gerade noch rutscht der letzte Bissen des Auflaufs meine Speiseröhre hinunter, da steuert meine Oma schon ihrem Höhe- und gleichzeitig Brennpunkt entgegen und zieht den einbalsamierten Braten aus dem Ofen: toter Papst auf Leichenbett. Dazu reicht sie frisch geerntete Live-Kommentare und Parallelschaltungen zum Mainzer Dom an Lorbeerblättern. Schon legt sie auch ihre Platte mit den Kirchenliedern aus ihrer Kindheit in Polen auf den verstaubten Plattenteller. „Ein wahres Jahrhundertereignis“, meint sie und ich stimme ihr zu, weil ich weiß wie selten sie einen solchen dicken Brocken an die Angel bekommt und meine Sinne mittlerweile sowieso vom edlen Tropfen der Dauerberieselung benebelt sind. Lange vorher hatte Großmutter die Kochvariation dieses Mahls durchdacht, trainiert und vorbereitet.

Obwohl ich schon nach der Hälfte des zweiten Ganges kaum noch papp sagen kann, erweise ich ihr die zwar nicht letzte aber bedeutende Ehre und spiele Interesse an ihren Kochkünsten vor. Sie verkauft ihren Hauptgang als Sensation. Die Katholiken von nebenan dürften sich freuen, denke ich mir, da vielleicht beim nächsten hausinternen Ausschlachten der eine oder andere meiner Familie direkt in deren Haus einfallen wird, um sich in Nahaufnahme von der Qualität ihrer Produkte zu überzeugen. Ich überlege mir, ob meine Oma nicht etwa Geld für ihre kleine Gratis-Verkostung von ihren Nachbarn verlangen sollte, komme dann aber im gleichen Moment zu der Überzeugung, dass sie ja gerne mal etwas gewissermaßen freiwillig und ehrenamtlich auskocht. Schließlich sind die Verwandten ja auch genügsam und freuen sich über nahezu alles, was Omi ihnen auftischt!

Ich verwerfe diesen Gedanken, weil ich an dem zähen Fleisch des noch warmen Bratens zu kauen habe. Als ich endlich meinen Teller bis auf das letzte bisschen leer geputzt habe, blicke ich erleichtert auf. Meine Oma schnellt wieder zur Schöpfkelle und deutet eine neue Portionierung an. „Nein, danke!“ erwidere ich verzweifelt, worauf sie entgegnet: „Mensch Junge, Du musst doch groß und gebildet werden!“ Also noch mal eine Runde der würzigen Komposition und dazu natürlich wieder in Dauerschleife den „Trois Fenêtre“. Ich bezweifle, dass sie einen anderen Wein in ihrem Keller beherbergt. Als ich auch endlich die Bratenform ihres Inhaltes entleert habe und nur noch Krümel übrig bleiben, wirkt meine Oma zufrieden und ich betrunken. Zu meinem Erstaunen bemerkt sie, dass wir „jetzt aber mal ein kleines Päuschen bräuchten und ja so lange uns dem Tatort widmen könnten.“ Doch kaum habe ich Hoffnung in ihre Gnade geschöpft fügt sie beiläufig hinzu: „Um 22.06 Uhr bringt Sabine dann den Nachtisch vorbei: eine Talkshow! Un die Nachbarn bringt sie auch mit. Mei Braten ist schließlich Thema des Tages!“

Statt mich zu freuen, durchzuckt meinen ganzen Körper einen Anflug von Ekel und Aversion. Ich stelle mir die Kardinalsfrage: Bleiben oder gehen? Mir wird klar, dass ich nicht länger hier sitzen und auf den Henker warten kann, der mich so lange mit dem Leichenschmaus voll stopfen wird, bis ich platze. Ich mache also meine Leiden öffentlich, bevor ich aufgrund eines septischen Schocks oder eines irreversiblen Zusammenbruchs des Herz-Kreislauf-Systems mein Bewusstsein verliere. Ich reiße mich von der Bahre hoch, hechte mit gefülltem Magen an die Garderobe und vertröste meine Großmutter mit der Entschuldigung, dass ich noch was Wichtiges erledigen müsse. Kurz bevor die hölzerne Flügeltür hinter mir zuschlägt, höre ich meine Oma mir zurufen: „Ich schicke Dir in den nächsten Tagen noch ein paar Portionen vorbei, Junge. Ich habe doch noch so viel eingefroren!“ Ich schwöre mir, dass es das letzte Mal war, dass ich mitgespielt habe, aber wie bringe ich das meiner Verwandtschaft bei?

Donnerstag, 31. März 2005

Sanami, das mit dem großen Wasser

Fünf Minuten O-Ton eines Gesprächs zwischen drei deutschen Jugendlichen auf der Zugfahrt von Altheim nach Babenhausen.

Der mit der Kappe: Sanami, Alder, weißt du.
Der Schwarzhaarige: Was willst du?
Der mit der Kappe: Sanami, bist du blöd? Das mit dem großen Wasser.
Der Kleine: Tsunami?
Der mit der Kappe: Ja, bin ich ein scheiß Asiate oder was?
Der Schwarhaarige: Mann bist du blöd.
Der mit der Kappe: Leck mich am Sack du Penner!
Der Kleine: War eh alles Fake. Ich sag dir, Alder, haben die alles mit dem Computer gemacht, dass die Geld kriegen.
Der mit der Kappe: Was wollen die eigentlich, die haben doch Wasser gebraucht in Asiaten. Jetzt haben die Wasser und beschweren sich.
Der Schwarzhaarige: Voll die Abzocker, Alder.

Der Kleine holt sein Handy raus.

Der Kleine: Ey. Holst du mich jetzt? Pause. Bis gleich. Legt auf. Ich lauf doch jetzt net Alder. Soll die mich schön holen die Fotze.
Der mit der Kappe: Wozu sind Mütter sonst da?
Der Kleine: Genau, Alder, du weisst was geht.

Endstation Babenhausen. Die drei steigen aus.

Mir fehlen die Worte.

Montag, 28. März 2005

Amerika vs. "old Europe"?

Jeder hat schon einmal verrückte Geschichten über die Vereinigten Staaten von Amerika gehört. In einigen Staaten soll in Biologie nicht die Evolutionslehre, sondern die biblische Schöpfungsgeschichte gelehrt werden, in den Augen von manch unbedarftem Amerikaner liegt der Irak irgendwo in Europa, denn "da haben wir auch den letzten Krieg geführt" und einige deutsche Touristen wollen gar schon gefragt worden sein, ob es denn nun stimme, dass Hitler immer noch Deutschland regiere.
So könnte es stundenlang weiter gehen, denn diese Geschichten erfreuen sich in einem Deutschland, in dem Antiamerikanismus immer mehr in Mode kommt, zunehmender Beliebtheit.

Ich kann dazu nicht viel Konstruktives beitragen (diese Erzählungen also weder dementieren noch bestätigen), da ich selbst noch nie in der "neuen Welt" weilte und meine wenigen Kontakte mit Amerikanern sich bisher auf überdurchschnittlich gebildete Menschen auf Europareise beschränkten.

Was mich jedoch dazu gebracht hat, ein wenig mehr über diese Thematik nachzudenken, war der Kontakt mit einem Amerikaner aus Connecticut von dem ich über die Plattform Ebay etwas erworben habe:
In der Liste der möglichen Ziele des Postversandes war neben Australien, Nord- und Südamerika auch Europa aufgeführt. Nach der erfolgreich abgeschlossenen Versteigerung wandte ich mich an den Verkäufer mit der Frage, wieviel ich denn für den Versand des Artikels nach Deutschland genau zu bezahlen hätte.
Seine Antwort begann mit folgender Aussage:
"Thank you for winning the auction.
In the auction I did specify which countries I would ship to, and Germany was not one of them. I believe it says Americas, Europe & Australia."

Unter Berücksichtigung dieser Aussage erhält die kürzlich aufgestellte Behauptung eines türkischen Unternehmers, das zu geringe Bildungsniveau sei momentan das größte Problem der Türkei bei der Demokratisierung des Landes und der Eingliederung in Europa, eine ganz neue, erschreckende Dimension.

Jedoch muss man dem netten Amerikaner Zugute halten, dass er in seiner Nachricht wie folgt verblieb: "I will however, make the exception and ship to you anyways - just be sure to check that next time you bid on something because some sellers will get very upset."

Sonntag, 27. März 2005

Der Germanist im Busfahrerpelz

Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, über dieses Erlebnis zu schreiben, aber ein Freund überzeugte mich doch vom Gegenteil.

Als ich letzte Woche nach einer Geburtstagsfeier - auf die ich mit meiner Stimmung nicht richtig passte - angetrunken mit einem Bier in der Hand in den letzten Bus nach Hause steigen wollte, meinte der Busfahrer: "Mit dem Bier nehme ich Dich nicht mit!" Ich überflog kurz den Inhalt des Busses und merkte bald, dass ich der einzige Gast sein würde. Deshalb begann ich ihn mit Argumenten wie, "hör mal, ich komme von einer Geburtstagfeier und würde gerne noch mein Bier austrinken.." oder "ich passe auch auf, dass ich nichts verschütte.." vom Gegenteil zu überzeugen. Zu meinem Erstaunen willigte er mit den Worten: "Wenn Du was verschüttest, putzt DU den Bus." ein.

Ich schwang mich in das Fahrzeug und suchte mir aus Gewohnheit einen Platz im hinteren Drittel des Busses. Als wir einige Meter gefahren waren, rief mir der Fahrer von vorne für mich unverständliche Worte zu. Kurzerhand erhob ich mich und fand mich bald an seiner Seite sitzend vorne auf dem ersten Platz. Er steckte sich eine Zigarette an und ich forderte verwundert, dass ich dann ja auch eine rauchen könne. Auch in diesem Punkt nickte er zustimmend. So saßen wir bald rauchend - ich Bier trinkend - nebeneinander. Bald entfachte ein Gespräch über Gott, das Leben, die Philosphie des Seins, unsere unterschiedliche Nationalität und die Ziele, Hoffnung und Pläne, die ein junger Mensch im heutigen Deutschland haben kann. Anfangs vielleicht noch mit einem Körnchen Arroganz auf seine Position als Busfahrer blickend, drehte sich mein Standpunkt während unseres Gespräches um 180 Grad: Er studierte Germanistik, vor zwölf Jahren. Dann brauchte er einen Job, Geld. Er sagte: "Man müsse flexibel sein, immer das Leben, wie es kommt!" Deshalb wurde er vor zwölf Jahren zum Angestellten der regionalen Beförderungsfirma. Ob er denn keine neuen Ziele habe oder von einem anderen Leben träume? "So jung bin ich nicht mehr, es ist alles nicht so einfach. Es macht mich glücklich, wenn ich meine Ruhe habe!" Er sprach diese Worte mit einem bitteren Beigeschmack von Resignation und Unzufriedenheit, bestritt dies aber beim Nachfragen. "Ich solle mein Leben noch genießen, solange ich jung bin."

Es war ein netter Kerl. Er fragte mich sogar, wo ich denn hin müsse und ob er mich mit dem Bus noch ein Stückchen mit in die Richtung meiner Wohnung nehmen solle.

Als ich mit einem winkenden Gruß den Arbeitsplatz meines temporären Gesprächspartners verließ, stieg in mir ein seltsames Gemisch aus Melancholie, Mitgefühl, aber vor allem Angst vor der Zukunft und der Möglichkeit, das mir das Gleiche passieren könnte, herauf. Später lag ich im Bett und dachte immer noch über den Menschen nach, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Ich nahm mir vor, dass mir nie so etwas passieren sollte. auch wenn ich flexibel auf das Leben reagiere, will ich nie damit aufhören, das Leben flexibel an mich anzupassen.

Trau Dich!

Du stehst draußen,

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... wo das Flugzeug auch mit einem Internetzugang für...
tande dani - 30. Jul, 17:47
Religiöse Floskeln; Konjunktiv,...
Religiöse Floskeln; Konjunktiv, wohin man blickt: bitten,...
F-punkt-M - 27. Jul, 16:45
Punkt 5 lautet im Original...
Punkt 5 lautet im Original "Schliesse deine Augen und...
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