Freitag, 10. März 2006

Kinder töten Kinder

Vom 16.01.2006. Reiseerlebnisse aus Cambodia.

1975 wurde Phnom Penh von den roten Khmern eingenommen. Ihr Führer Pol Pot wollte den perfekten kommunistischen Staat schaffen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen wurden fast eine Million Menschen zwangsweise aufs Land umgesiedelt und Phnom Penh entwickelte sich zu einer Geisterstadt in der nur noch die Soldaten der roten Khmer, die im Durchschnitt nicht älter als 15 Jahre alt waren, ihr Unwesen trieben. Nachdem die Amerikaner sich aus Vietnam zurückgezogen hatten und es kein anderer Staat für nötig hielt einzugreifen konnte Pol Pot ungehindert seine Schreckensherrschaft ausüben. Zuerst ließ er alle Mitglieder des Bildungsbürgertums: Ärzte, Lehrer, Wissenschaftler oder einfach nur Leute die eine Brille trugen zurück in die Hauptstadt bringen, um sie dann auf den Killing Fields oder im gefürchteten Gefängnis Tuol Sleng hinzurichten. Ab diesem Zeitpunkt gehörten Grausamkeiten und Folter in Phnom Penh zum Alltag. Um Munition einzusparen tötete man Gefangene mit einem Bambusstock durch einen gezielten Schlag auf den Hinterkopf. Mehr als 2.000.000 Menschen wurden in den folgenden Jahren getötet. Sie starben durch qualvolle Lebensbedingungen oder Hinrichtungen auf den Killing Fields.


Massengräber auf den Killing Fields

Mein Bus nach Siem Reap sollte Phnom Penh um 12.30 Uhr verlassen. Also hatte ich den Vormittag um mir wenigstens einen Teil der geschichtsträchtigen Hauptstadt Cambodias anzuschauen. Ich bestellte einen Fahrer für halb acht morgens zu meinem Guesthouse, dass direkt am Boeng Kak Lake lag. Um dem morgendlichen Verkehrschaos aus dem Weg zu gehen empfahl mir der Fahrer erst in eines Außenbezirke Phnom Penhs zu fahren. Zu den Killing Fields. Mit seinem Tuk Tuk fuhren wir aus der Stadt raus vorbei an Reisfeldern, über staubige Straßen und den baufälligen Holzhütten, die das Bild überall in Cambodia prägen. Hätte man nicht gewusst wo die Killing Fields liegen, man hätte sie übersehen können. Sie unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht von der restlichen Gegend. Überall grünt es, nur an manchen Stellen kann man Gräben erkennen und im Zentrum der Anlage steht ein Denkmal, ein Mahnmal.

Die Killing Fields sind kleiner als ich sie mir vorgestellt habe. Vielleicht hundert Meter lang und eben so breit. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, ein wunderschöner Tag, der so überhaupt nicht zu dieser Stätte passt. Ich bewege mich langsam. Fühle mich unbehaglich, als könnte man die Grausamkeiten die hier stattgefunden haben immer noch spüren. Was mich innerhalb der nächsten Stunde erwartete ist mit Worten fast nicht zu beschreiben.


Mahnmal auf den Killing Fields

Ein Massengrab neben dem anderen. Teilweise haben sie die Leute ausgegraben, teilweise sind die Gräber noch in dem Zustand wie sie die Monster der roten Khmer zurückgelassen haben. Hier liegen 100 Leute begraben, dort 400 und ein Stück weiter gar 600 Leute. Männer, Frauen und Kinder. Jetzt stehe ich vor einem Grab mit einem Schild, dass hier über 100 Körper ohne Köpfe gefunden worden sind. Ich bin traurig und das flaue Gefühl hat sich in Übelkeit entwickelt.

Im Zentrum der Killing Fields steht ein Turm mit einer Glasfront auf der Vorder- und Rückseite. Ich laufe die Stufen nach oben, doch was ich jetzt zu sehen bekomme erschüttert mich bis ins Mark. Während auf dem Boden des Mahnmals ein Haufen dreckiger Kleider zu sehen ist, ist der Rest des Turms voll von Schädeln. Köpfe von Unschuldigen, die der Grausamkeit Pol Pots zum Opfer gefallen sind.


Tuol Sleng, Gefängnis in Phnom Penh

Eine halbe Stunde später stehe ich am Eingang des gefürchteten Gefängnisses Tuol Sleng im Herzen Phnom Penhs. Der erste Eindruck erinnert eher an die Schule, die das Gefängnis auch vor der Zeit der roten Khmer gewesen ist. Nur der Stacheldraht weißt auf ein Gefängnis. Doch sobald ich den ersten Raum betrete, ist dieses unbehagliche Gefühl, dass mich schon auf den Killing Fields verfolgt hatte wieder da. Es scheint hier alles unverändert zu sein. Schreckliche Folterwerkzeuge lehnen an der Wand und an den Wänden, an der Decke und auf dem Boden ist sogar noch Blut zu erkennen.

Als nächstes betrete ich eine Halle. Sie ist wie eine Galerie aufgebaut. Überall hängen Bilder von Häftlingen Tuol Slengs. Angst, Schrecken und Folter sprechen aus den Augen. Die Soldaten der roten Armee, die selbst noch Kinder waren töteten Mütter, Väter und andere Kinder.


Fotos der Opfer der roten Khmer

Als ich zu meinem Fahrer zurückkehre bin ich stumm vor Entsetzen und breche meine Stadttour ab. Pünktlich um 12.30 verlasse ich die Hauptstadt.

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Miss Glitter - 6. Apr, 14:33

Gut beschrieben.
Kriege heute noch eine Gänsehaut wenn ich das lese und an meine Gefühle beim Killing Fields plus Gefängnisbesuch vor knapp vier Jahren denke.

Puh.

Trau Dich!

Du stehst draußen,

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