5.30 Uhr. Der Wecker klingelte. Erst jetzt realisierte ich die unzähligen Fliegen, die sich im VW Bus angesammelt haben und sich an den Ravioliresten des letzten Abends labten. Die Morgendämmerung hatte bereits eingesetzt, doch noch bestimmte die Nacht und der Wind die Temperaturen.
Der Bulli
In Shorts und barfuss, jedoch mit Kapuzenpulli und Mütze kletterte ich auf den ca. fünf Meter höher gelegenen Sandsteinfelsen um einen besseren Überblick über die Küste zu haben. „Einmal mit Milch für dich“, sagte er und reichte mir meinen silbernen Kaffeebecher, während er sich neben mich auf den Felsvorsprung gesellte. Ich zog mir die Kapuze über den Kopf, schlürfte einen Schluck von meinem Kaffee. „Was meinst du?“ fragte er. Noch Mal nippte ich am Kaffee, einerseits um etwas Zeit zu gewinnen, meinem mehr oder weniger fachmännischen Urteil den letzten Schliff zu verpassen, andererseits gehört das natürlich zum Ritual - genauso wie Muschelkette um meinen Hals, die vom Salzwasser fettigen Haare oder meine nackten Füße, von denen ich schon nicht mehr sagen konnte, ob sie so braun sind, oder einfach nur schon nicht mehr sauber zu bekommen waren. Ich kniff die Augen zusammen und ging in die Hocke. „Wir haben Offshore, begann ich, der Swell läuft gut rein, doch es ist noch zu früh etwas genaueres zu sagen, weil das Wasser gerade angefangen hat abzulaufen und wir laut Tide-Kalender exakt vor einer Viertelstunde den Höchststand erreicht hatten.“ Schon gestern hatten wir die Erfahrung gemacht, dass an diesem Secret Spot, die Wellen bei Low-Tide besser brechen. „Im Moment brechen die Wellen close out, doch lass uns mal noch ne Weile warten, bis das Wasser sich ein bisschen zurückgezogen hat, dann brechen sie bestimmt wieder direkt über der Sandbank“, fügte ich noch hinzu. „Ich weiß nicht, ich habe gestern von einem dieser Grommets gehört, dass es weiter den Strand runter einen Point Break gibt, der bei Stillstand und gutem Swell sogar als Tube bricht. Vielleicht sollten wir doch unsere Sticks waxen und doch jetzt schon losziehen, bevor die ganzen Locals am Start sind“, sagte er, während er den Kaffeesatz gegen den Wind schüttete.
Wir blickten noch eine Weile aufs Meer hinaus und ohne weitere Worte zu verlieren, schnallten wir unsere Longboards fest, mit denen wir gestern noch vergeblich versucht hatten im Weißwasser nur ansatzweise so etwas wie einen Hang Five, geschweige denn einen Hang Ten hinzubekommen und nur Minuten später schnurrt der Dieselmotor des Bulli wie ein Kätzchen. Drei Kilometer Felsenpiste und unzählige Schlaglöcher später hielten wir direkt am Strand, neben einem alten Pick up – „Siehst du, sind nicht die ersten hier, da geht was“, sagt er. Die ersten Sonnestrahlen liessen die Soup der heranrauschenden Brecher erglitzern. Nachdem wir beide noch Mal das Revier markiert hatten, schlüpften wir in unsere sandigen Neos und begannen unsere Boards zu waxen. Ich mein Malibu. Er sein Shortboard.
Supertubos bricht als Tupe (Peniche, Portugal)
Geblendet von der aufgehenden Sonne näherten wir uns mit den Boards unterm Arm dem Atlantik. Wir kletterten über ein paar Felsen und balancierten zwischen den Möwen hindurch bis zu einer kleinen Blattform von der aus wir ins Wasser glitten. Wir paddelten um den Felsen herum und entdeckten den Besitzer des Pick up rittlings auf seinem Brett sitzen. Wir paddelten weiter und dann sah ich die Felsformation aus dem Wasser schauen. Der Grommet hatte Recht gehabt, ein Point Break, doch zu sehen war bisher nur ein Flat. Alles schien harmlos, bis ich sie heranrollen sah und rief: „Fuck, schau dir die Dinger an - gibt Gas.“
Wir hatten eine Setpause erwischt, doch die war nun vorbei und wir befanden uns genau in der Impact Zone. Der Local paddelte noch ein Stückchen weiter aufs offene Meer, doch er hatte nichts zu befürchten, da er sich im Line up befand. Meine Arme schmerzten bereits, doch über die erste Welle kamen wir noch drüber und hörten sie hinter uns krachend und schäumend aufs Riff brechen. Doch die nächste Welle war zu groß und der Curl lag drohend über uns. Er schaffte es noch seine Nose runterzudrücken und mittels Duck Dive unter der Welle hindurch zu tauchen, doch dieses Manöver funktioniert leider nur mit einem Shortboard. Blitzschnell ließ ich mich ins Wasser fallen, drehte mein Board herum, tauchte unter das Brett und hielt die Nose oberhalb meines Kopfes - die so genannte Eskimorolle. Die Welle rauschte über mich hinweg und ich schwang mich so schnell ich konnte wieder auf mein 8,4 Zoll langes Gefährt und paddelte was das Zeug hielt. Doch die dritte Welle des Sets konnte ich in der Impact Zone nicht überwinden. Wipe out!
Die Welle erwischte mich frontal und drückte mich in Richtung Riffboden. Ich wirbelte durch das Wasser und verlor jegliche Orientierung. Wie üblich hielt ich meine Hände schützend über den Kopf um nicht von meinen eigenen Finnen eins übergebraten zu bekommen. Ich erwartete jeden Moment den Aufschlag, doch dann erwartete mich ein Schmerz ganz anderer Art. Als wollte mir jemand mein Bein ausreißen, zog die Leash an meinem rechten Fuß und zog mich nach oben. Gerade wieder an der Oberfläche, sauste schon die nächste Welle auf mich herunter. Doch diesmal konnte ich kontrolliert untertauchen, bevor mich meine Leash wieder in Richtung Ufer zog. Wieder Luft in meinen Lungen und mein Malibu wieder eingeholt, hatte ich es geschafft. Die nächste Setpause war erreicht und ich bewegte mich in Richtung Line up, wo er und der Local mich mit breitem Grinsen erwarteten.
Setpause "Paddeln was das Zeug hält"
Kaum angekommen paddelte der Portugiese auf die Steinformation los. Ich saß nun auch rittlings auf meinem Board und beobachtete den Seegang. Und dann sausten sie heran und türmten sich auf. Höher und höher. Ich paddelte über die erste hinweg und war auf Augenhöhe mit dem Local, der einen mustergültigen Take-Off hinlegte und vom Peak aus nach unten sauste. Kaum zu glauben, aber die Welle brach wirklich als Tube, so wie es der Jungspund am Tag zuvor behauptet hatte. Als die Welle langsam an Höhe verlor kehrte der Local mit mehreren Cutbacks immer wieder zum höchsten Teil der Welle zurück um sie bis ganz zum Ende zu reiten.
Schon rollte die nächste Welle heran. „Die ist mir mein Lieber“, rief er, und paddelte los. Kurz bevor sie zu brechen drohte, machte er ein Hohlkreuz, setzte seine Hände neben die Rippen und sprang ab. Der Take-Off klappte und er ritt die Welle ab.
Jetzt war meine Zeit gekommen. Die nächste riesige Barrel näherte sich und ich versuchte so schnell wie möglich genügend Geschwindigkeit aufzunehmen. Dann war die Welle da und ich spürte wie mein Brett langsam stabil wurde. Körperspannung, Hände positionieren, mit den Füßen vom Pad Abspringen und mit den Armen Schwung holen: Take-off! Ich stand, fand mein Gleichgewicht und sauste los…
Und dann war es da: Dieses unbeschreibliche Gefühl der Geschwindigkeit und der Freiheit wenn man die energiegeladenen Wassermassen entlang rauscht. „I`m a surfer“, schreie ich vergnügt in den Wind, während ich mich wieder auf mein Board schwang. Doch schon Sekunden später hieß es wieder: paddeln, paddeln, paddeln und raus aus der Impact Zone, da das nächste Set heranrollte.
Wellenreiten in Baleal (Peniche, Portugal)
Die Arme schmerzen, die Augen tränen, die Sonne brennt dir ins Gesicht, die Füße frieren im 14° Grad kalten Wasser. Egal.
Mich hats`erwischt. Ich bin stoked…
P.S.: Wer der Surfsprache nicht mächtig ist.
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