Sonntag, 27. März 2005

Der Germanist im Busfahrerpelz

Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, über dieses Erlebnis zu schreiben, aber ein Freund überzeugte mich doch vom Gegenteil.

Als ich letzte Woche nach einer Geburtstagsfeier - auf die ich mit meiner Stimmung nicht richtig passte - angetrunken mit einem Bier in der Hand in den letzten Bus nach Hause steigen wollte, meinte der Busfahrer: "Mit dem Bier nehme ich Dich nicht mit!" Ich überflog kurz den Inhalt des Busses und merkte bald, dass ich der einzige Gast sein würde. Deshalb begann ich ihn mit Argumenten wie, "hör mal, ich komme von einer Geburtstagfeier und würde gerne noch mein Bier austrinken.." oder "ich passe auch auf, dass ich nichts verschütte.." vom Gegenteil zu überzeugen. Zu meinem Erstaunen willigte er mit den Worten: "Wenn Du was verschüttest, putzt DU den Bus." ein.

Ich schwang mich in das Fahrzeug und suchte mir aus Gewohnheit einen Platz im hinteren Drittel des Busses. Als wir einige Meter gefahren waren, rief mir der Fahrer von vorne für mich unverständliche Worte zu. Kurzerhand erhob ich mich und fand mich bald an seiner Seite sitzend vorne auf dem ersten Platz. Er steckte sich eine Zigarette an und ich forderte verwundert, dass ich dann ja auch eine rauchen könne. Auch in diesem Punkt nickte er zustimmend. So saßen wir bald rauchend - ich Bier trinkend - nebeneinander. Bald entfachte ein Gespräch über Gott, das Leben, die Philosphie des Seins, unsere unterschiedliche Nationalität und die Ziele, Hoffnung und Pläne, die ein junger Mensch im heutigen Deutschland haben kann. Anfangs vielleicht noch mit einem Körnchen Arroganz auf seine Position als Busfahrer blickend, drehte sich mein Standpunkt während unseres Gespräches um 180 Grad: Er studierte Germanistik, vor zwölf Jahren. Dann brauchte er einen Job, Geld. Er sagte: "Man müsse flexibel sein, immer das Leben, wie es kommt!" Deshalb wurde er vor zwölf Jahren zum Angestellten der regionalen Beförderungsfirma. Ob er denn keine neuen Ziele habe oder von einem anderen Leben träume? "So jung bin ich nicht mehr, es ist alles nicht so einfach. Es macht mich glücklich, wenn ich meine Ruhe habe!" Er sprach diese Worte mit einem bitteren Beigeschmack von Resignation und Unzufriedenheit, bestritt dies aber beim Nachfragen. "Ich solle mein Leben noch genießen, solange ich jung bin."

Es war ein netter Kerl. Er fragte mich sogar, wo ich denn hin müsse und ob er mich mit dem Bus noch ein Stückchen mit in die Richtung meiner Wohnung nehmen solle.

Als ich mit einem winkenden Gruß den Arbeitsplatz meines temporären Gesprächspartners verließ, stieg in mir ein seltsames Gemisch aus Melancholie, Mitgefühl, aber vor allem Angst vor der Zukunft und der Möglichkeit, das mir das Gleiche passieren könnte, herauf. Später lag ich im Bett und dachte immer noch über den Menschen nach, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Ich nahm mir vor, dass mir nie so etwas passieren sollte. auch wenn ich flexibel auf das Leben reagiere, will ich nie damit aufhören, das Leben flexibel an mich anzupassen.

Osterliche Bilderwut im Herrengarten

Es ist Ostern - das Fest der Auferstehung. Wie vor gut 2000 Jahren eine der wichtigsten Figuren des Christentums auferstand, so scheint ihm auch die Darmstädter Bevölkerung gleiches tun zu wollen. Doch in einer etwas anderen Weise.

Beim morgentlichen Ostersonntag-Joggen durch die grüne Lunge der Stadt konnte ich beobachten, wie junge und alte Bildjäger geradeso aus dem Boden sprießend knipsen, filmen oder posieren. Dies gilt für Händchen haltende Päarchen oder Eis schleckende Rentner genauso wie für junge Väter hinter ihrem Off-Road-Kinderwagen. Als Motiv hält nahezu alles her, was sich in der nahen Umgebung findet. Mit der Digi-Cam mal eben eine Serie der Knospe am bald blühenden Baum fokussiert, den Partner vor einem wünderschönen leider noch nicht blühenden Dormbusches geknipst oder in einem semi-professionellen Kurzfilm die zarten Gehversuche des geliebten Nachwuchs aufgenommen.

Es schien mir, dass sich beinahe jeder Besucher des Herrengartens an diesem Morgen hinter dem Sucher eines digitalen Gerätes versteckte. Unweigerlich drängt sich mir die Frage auf, was mit diesen Bildern geschehen wird. Wer wird sie sich anschauen, wer wird sich anhand des geschossenen Materials noch an den schönen Frühlingstag erinnern? Und was mich eigentlich in diesem Zusammenhang noch mehr beschäftigt: Ist es das Einzigartige, das Sensationelle und Aufzeichnugswerte, das die Bilderwütigen festzuhalten versuchen oder drücken sie gar aus purer Langeweile auf den Auslöser?

Was natürlich an diesem Spektakel reizt, ist die Möglichkeit der Öffentlichkeit sein neu im Elektro-Discounter erworbenes Wunderwerk der Technik vorzuführen. Zeigen, dass man auf der Welle des digitalen Booms mit oben aufschwimmt, die neue Coolpix mit 512 MB-Flashkarte im Anschlag. Ich gehe einfach mal davon aus, dass die Kamera wohl kaum über den Automatik-Mechanismus hinaus genutzt wird. Und wenn dann ein Bild nichts geworden ist, dann wirft man es eben schnell in den Papierkorb. So einfach ist das. Und knipst eben zwanzig neue. Hinterher kann man den Rest ja im mit dem Gerät gelieferten Bildbearbeitungsprogramm modizifieren. Per Auto-Tonwert-Korrektur.

Sicher ist es ein großer Vorteil, dass wir nicht - wie vor einigen Jahren noch - einen Film in die Kamera einlegen müssen und dann meist 36 Schüsse zur Verfügung haben, um das festzuhalten, was uns wichtig, interessant oder schön erscheint. Ich versuche mich zu erinnern, wie viele Menschen ich vor der digitalen Welle nachmittags durch den Park spazieren und alle paar Sekunden auf den Auslöser drücken sah. Ich glaube, da gibt es Unterschiede.

Wenn ich nach einer Bergbesteigung über das Gipfeldach hinwegblicke oder beim Sonnenuntergang an der toskanischen Küste mich dabei bewußt dazu entscheide kein Bild zu schießen, um viel lieber das Szenario in seiner reinen Form zu genießen, dann stellt sich mir die Frage, wie weit der Genuss des osterlichen Nachmittags-Ausfluges in den Herrengarten geht.

Trau Dich!

Du stehst draußen,

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