Eine Reise in die japanische Unterwelt der heimlichen Bedürfnisse
Gespannt stehen die Kinobesucher mit ihren pinken Karten in der Hand vor dem Einlass des provisorisch errrichteten Filmtheaters. Was sie erwartet, weiß keiner so genau. Jedenfalls hat es was mit asiatischer Kultur zu tun. Als sich die Türen öffnen und die Kinogänger die besten Plätze erstürmen, heisst sie eine freundliche japanische Frauenstimme in deutscher Sprache willkommen. Dass diese Stimme vom Band in den nächsten vierzig Minuten in einer Endlosschleife zu hören sein wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch keinem bewusst. Das passt ja auch schön und stimmt auf den bevorstehenden Film ein.
Dann die Anmoderation. Von einem jungen Deutschen. Sie fällt sehr knapp aus. Irgendwas mit "pink film" und so weiter. Man hört nicht sehr aufmerksam zu, sondern schiebt sich noch schnell eine kleine Rolle aus rohem Fisch mit Avocado in die Backen und spült sie mit kühlem Bier nach. Der Regisseur sei auch da. Er sei extra für die Vorführung von New York nach Frankfurt geflogen gekommen. Der Film sei übrigens mit einem Budget von 20.000 Dollar gedreht worden. "Toll", denken die nichtsahnenden Zuschauer, "wie underground!" Der Regisseur aus New York - der leider kein Englisch spricht - wünscht ihnen viel Spass. Sein kleiner pummeliger Dolmetscher übersetzt grinsend. Dann geht das Licht aus. Die Leinwand flackert pink. Scheint doch alles einen Zusammenhang zu haben.
Quelle: Postote;
Nippon Connection Filmfestival
Nach dem Werbe-Trailer der Nippon Connection beginnt endlich:
The glamorous life of Sachiko Hanai. "Sachiko arbeitet in einem Club für sexuelle Rollenspiele", erinnert sich mancher an den knappen Programmhinweis im Internet. In einem karg eingerichteten Raum bringt die Hauptdarstellerin
Emi Kuroda im Lehreroutfit einem Schüler Grundzüge der Geographie bei. Kaum zwei Minuten später und scheinbar übergangslos liegen die beiden aufeinander auf einem nebenstehenden Bett und leben gemeinsam ihre wildesten sexuellen Phantasien aus. Der Schüler macht sich über seine Lehrerin her, als hätte er aus Versehen statt Nudelsuppe eine Packung Viagra gefrühstückt. Da darf die porno-übliche Ejakulation über den Frauenkörper als Ende der Szene nicht fehlen. Die ersten Zuschauer sitzen blass und wie angewurzelt in ihren Sesseln, andere grinsen verlegen.
Nächste Szene: Die Lehrerin in einem Straßencafe, vermutlich in Tokyo, in dem die einzigen Gäste zuvor zwei vornehme Gangster mit Laptop waren. Als sich einer der Männer erhebt und seinem Gegenüber eine Kugel in die Brust jagt und noch einige weitere Kugeln im Restaurant verteilt, wird unglücklicherweise auch Sachiko mit einem platzierten Kopfschuss getroffen. Das Skurille daran: Sie fällt zwar um, steht aber schon wieder nach wenigen Sekunden mit einem Tischtennisball großen Loch in der Stirn vor dem erschrockenen Barkeeper. Als sie das Restaurant auf wankenden Beinen verlassen will, trägt er ihr ihre Handtasche hinterher. Dummerweise befindet sich plötzlich der geklonte Finger von George W. Bush, den einer der Männer kurz vorher verlor, in dem Beutel. Auf ihrem Weg nach Hause lässt Sachiko sich noch einmal eben von einem Unbekannten begatten, was der Regisseur
Mitsure Meike gerne in aller Ausführlichkeit zeigt. Als sich die Hauptfigur hinterher im Bad vor dem Spiegel das Sperma aus dem Gesicht wischt, bemerkt sie endlich den Krater in ihrem Gesicht. Erschrocken steckt sie sich schnell einen Bleistift bis zum Anschlag in das dunkle Loch, wobei keiner der Zuschauer so genau weiß wieso. Dass sie danach vor Intelligenz nur so strotzt, kann sich auch keiner so recht erklären.
Die weiteren 75 Minuten des Filmes zeigen die leicht verwirrte Sachiko, wie sie sich von den verschiedensten Männern auf tausende dreckige Weisen vögeln lässt, zwischendurch auch gerne mal masturbiert oder anderen oralen Genüssen unterliegt. Ohne Eile werden die Szenen in einer unverblümten Ausfühlichkeit gezeigt, wie wir Deutschen es eigentlich nur aus den Billigpornoproduktionen kennen. Auch vor einer derb inszenierten Vergewaltigungsszene schreckt
Meike nicht zurück. Die Handlung des Filmes scheint hierbei eine eher untergeordnete Rolle zu spielen.
Vielleicht wäre noch wichtig zu erwähnen, dass Sachiko sich irgendwann den geklonten Finger in den Kopf steckt - der sie vorher natürlich noch ordentlich sexuell befriedigt, während ihr Bush persönlich über einen Fernsehbildschirm auf einem Hochhausdach über Massenvernichtung und die machtpolitischen Verhältnisse in der Welt erzählt. Außerdem findet sie durch Intuition in einer kleinen Höhle die zerstörerische Maschine Gottes und vernichtet damit die Welt.
Zack, und schon ist der Film auch wieder vorbei. Die Lichter gehen an. Das Publikum glotzt verstört auf die pinke Leinwand. Viele Plätze, um die noch vor der Vorstellung gerungen wurden, sind jedoch jetzt leer. Man könnte denken, die Zuschauer mussten den letzten Bus noch erwischen. Man könnte aber auch denken, dass sie sich so eine Schwachsinn nicht länger ansehen wollten. Oder sie waren an einem Freitagabend vielleicht nicht in der Laune für eine ausführlich inzenierte Vergewaltigung auf Großleinwand. Oder sie sind einfach keine Porno-Fans, wer weiß das schon.
Um aus dem Kino-Besuch auch definitiv ein kulturelles Happening zu machen, steht der Macher des Filmes nach der Präsentation seines Kunstwerkes für alle Art von Fragen zur Verfügung. Leider spricht nur der bekiffte deutsche Moderator. Der kleine Dolmetscher grinst schelmisch und der Regisseur gibt sich beinahe unbeteiligt.
Einige mögen sich vielleicht gewünscht haben, dass Sachikos extraordinären Erlebnisse nicht im Directors Cut von 90 Minuten gezeigt würden, sondern ein halbes Stündchen kürzer - wie besipielsweise in Japan. Es drängt sich dabei sofort die Frage auf welche dreißig Minuten des Filmes in Japan wohl fehlen würden? Ich hätte da einen Vorschlag: wir machen einen Kurzfilm aus dem Material. Und nehmen die Szene, in der Bush von der Bombardierung und der Zerstörung der Welt spricht. Der Rest kann guten Gewissens weg. Sage ich als Deutscher. Aber was denken die Japaner?
Was uns Deutschen als übertriebene und nicht notwendige Porno-Darstellung erscheint, könnte für die Japaner auch als soziales Ventil herhalten. "Wenn schon in der Öffentlichkeit nur gelächelt werden kann, dann lass uns wenigstens im Film unsere dunklen Seiten ausleben", höre ich junge japanische Künstler im Chor sprechen, "Wir müssen unsere Emotionen und Bedürfnisse ja irgendwo raus lassen." "Ok", antworte ich ihnen, "macht doch Karate, das könnt ihr doch so gut!"
Es ist beschämend, Kulturen in Schubladen zu stecken, weshalb ich das mit dem Karate sofort wieder revidiere. Oft stimmen die Klischees auch nicht ganz. Auf dem japanischen Filmfestival konnten die Besucher jedenfalls hinter die blütenweiße Weste des ordentlichen Vorzeige-Japaners blicken und in neunzig Minuten die Abgründe und Probleme der japanischen Gesellschaft kennenlernen. Ob das aber nun widerum eine Schublade ist, bleibt fraglich.
Postbote - 18. Apr, 00:21