Freitag, 28. Januar 2005

Wer zu spät kommt...

...den bestraft in diesem Fall nicht das Leben, sondern die Fans. Sie tragen vornehmlich weite blau-rote Trikots über dicken Winterjacken, stehen auf eigens mitgebrachten Styropor-Würfeln und schreien sich mit Ausdrücken wie "Heeeeeey....du blinde Sau!!" für vier Viertel die Seele aus dem Hals. Diese Beschreibung könnte nun auf die Hooligans so mancher Sportart zutreffen, nirgends habe ich jedoch zuvor eine so aggressive und anscheinend intolerante Grundstimmung erlebt wie in dem engen Eishockeystadion der Mannheimer Adler am vergangenen Freitag. "Everywhere it is the same crowd", meinte unsere amerikanische Begleiterin, womit sie vielleicht nicht Unrecht hatte - meine Verwunderung konnte sie jedoch nicht schmälern.

Tief versunken in das Spielgeschehen schienen jegliche Verhaltensregeln über Bord geworfen, nur noch Freund oder Feind wurden gekannt, und kennt ein Mannheimer Raubvogel jemanden im Zweifelsfall nicht, gilt er als potentieller Feind oder Beute. Diese schmerzliche Erfahrung mit der privaten Gefolgschaft der Adler wurde uns vor allem deshalb zu Teil, weil wir uns erlaubten zu dem Match gegen die gefürchteten Kölner Haie zu spät zu kommen und uns dann auch noch eine annehmbare Sichtposition zu suchen: "Ich glaub ich spinn´!! Erst zu spät kommen und dann auch noch vordrängeln! Verschwinde hier!" Stimmt, hinter einem Kleiderschrank in Fleisch und Blut auf einer halben Meter hohen Kiste stehend kann das Spiel durchaus intensiv verfolgt werden. Vielen Dank für den Hinweis.

Man muss fairerweise dazu erwähnen, dass die Puk-Jäger aus Deutschlands Karneval-Metropole 2004 den Mannheimern den Meistertitel klauten, der zuvor für viele Jahre die Vereinsvitrine der Adler schmückte. Da kann einem als Lokalpatriot der Gaul schon einmal durchgehen.

Doch Gott sei Dank fanden sich in den Reihen der Fans nicht nur Haudegen mit finsteren Blicken. Ein anderer, der unsere Auseinandersetzung wohl mitbekommen haben muss, führte uns mehrere Stufen abwärts zu seinem Horst, tief in die brodelnde Masse der Adler. Dank unseres fremden Freundes ging diese Schlacht an uns und wir wurden nach kurzzeitg abschätzenden Beäugungen in den Kreis seiner Fanfamilie aufgenommen.

Von unserem neuen Platz konnten wir das erste Mal die gesamte Eisfläche und die angrenzenden Menschenscharen überblicken. Dicht zusammengepfercht wie Tiere starrte jeder gebannt auf das Spielfeld. Erstaunlich war doch die Mischung der Altersklassen im Publikum. Wir mittendrin. Zuerst leicht ratlos zögernd, dann wild mitgestikulierend und bald riss uns die Action der Spieler mit wie ein Orkan.

adler
Quelle: Postbote

Es schien gut zu laufen für die Adler, der Spielstand 3:1 am Ende des dritten Viertels wurde bereits um uns herum mit nun etwas entspannteren Mienen gefeiert. Dann im letzten Viertel der unerwartete Auftakt der Haie, 3:2! Ich erfahre von meinem Nebenmann, dass die Mannheimer die ganze letzte Woche "ständig "Powerplay" trainierten und jetzt nichts davon zu sehen sei..verdammt!" Außer Zustimmung fiel mir dazu nichts mehr ein. Dann ein Hochschuss vor dem Tor der Adler, der Ersatz-Torhüter patzt: Spielstand 3:3. Das kleine Stadion hielt plötzlich den Atem an. Die letzten Minuten waren so spannend, dass es so manchen Stammgast scheinbar auf seinem kleinen Stehklotz nahezu zerriss.

Während die Mannheimer Spieler um den Puk und einen weiteren Punkt kämpften, schlugen die Schlachtenbummler nervös ihre Trommeln und stießen fast schon verzweifelt ihre lyrischen Kompositionen hervor: "Ihr seid nur ein Karnevalsverein, Karnevalsverein, ...". Unglaublich aber die Motivation zeigte ihre Wirkung: Erlösung in den letzten Spielzügen. Ein Tor, das besser nicht gefeiert werden könnte, und hätte ich nicht mit dem Rest des Stadions meine Hände nach oben gerissen und mich mit den Umherstehenden umarmt, stünde an dieser Stelle gewiss ein Photo dieses Happenings.

Der Abpfiff steigerte die Zufriedenheit der Fans ins Unermessliche. Zuvor feindlich Gesinnte klopften sich auf die Schulter, böse Blicke wandelten sich in verzeihendes Lächeln. Die Schlacht war fürs Erste vorbei und die Kämper zogen mit ihrer Beute ab. Abschied von unserer Familie. Ob wir jetzt öfters kämen?
Man weiss es nie, wann es einen das nächste Mal packt seine Integrationsfähigkeiten auf die Probe zu stellen. Eine Sozialstudie vom feinsten, keine Frage.

Trau Dich!

Du stehst draußen,

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