Samstag, 5. November 2005

Mitmachen und gewinnen

Auf der am Wochenende stattfindenden Petersberger Konferenz soll zwei Tage lang über die Zukunft Afrikas diskutiert werden. Es ist ein Zeichen für den Aufbruch eines Kontinents

Am Wochenende wird Afrika Geschichte schreiben. Unter dem Titel „Partnerschaft mit Afrika“ kommen unter anderem Staatsmänner wie der südafrikanische Regierungschef Thabo Mbeki oder Präsident Olusegun Obasanjo aus Nigeria, Schriftsteller Henning Mankell oder Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka zusammen, um über die Zukunft des schwarzen Kontinents zu beratschlagen. Es wird das bisher größte Afrika-Forum der Geschichte sein: die geladenen Staats- und Regierungschefs wollen mit 35 Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft sprechen und gemeinsam der Korruption, der willkürlichen Diktatur und der ungleichen Verteilung von Reichtümern innerhalb des afrikanischen Kontinents den Kampf ansagen.

Doch von Kampf kann vorerst nicht die Rede sein, denn man sollte von einem ersten Stelldichein nicht zuviel erwarten. Es ist der Auftakt einer beginnenden Gesprächsrunde, die Bundespräsident Horst Köhler initiierte und die von der ZEIT-Stiftung unterstützt wird. Das Tagung dokumentiert den Anfang einer Suche nach einem gemeinsamen Konsens, ein langsames Herantasten an eine mögliche Zusammenarbeit – weder Entscheidungen sollen gefällt noch konkrete Pläne geschmiedet werden. Zukünftig soll es mindestens einmal pro Jahr eine solche Zusammenkunkft geben. Horst Köhler wünscht sich für die Petersberger Konferenz den offenen Dialog, in dem die Partnerschaft zwischen den Industrieländern und den Ländern Afrikas eine zentrale Rolle spielt. „Fragen der sozialen Gerechtigkeit sollten immer am globalen Maßstab diskutiert werden“, mahnt der Bundespräsident vorab. Es wird ein Wochenende der Annäherung werden.

Ein Zeichen des Aufbruchs

Und trotzdem ist diese Zusammenkunft keineswegs bedeutungslos, denn sie ist ein wichtiges Zeichen. Ein Zeichen für den Willen. Den Willen der Länder Afrikas aus der Opferrolle des ausgeschlossenen Welthandels auszubrechen und sich zu mündigen Staaten zu entwickeln, die auch auf internationalem Parkett politisch und vor allem wirtschaftlich ernst genommen werden. Dazu bedarf es in erster Linie einer breiten Übereinkunft innerhalb des Kontinents. Und das ist mitunter nicht leicht, denn Afrika birgt in sich selbst große Kontroversen. Während unterdrückte Staaten immer noch unter der willkürlichen Regentschaft eines Diktators leiden – nehmen wir zum Beispiel Robert Mugabe in Simbabwe – konnten sich andere bereits aus dem sumpfigen Moloch der Hungersnöte und Bürgerkriege befreien. Sie profitieren ökonomisch schon längst von ihren guten transmediterranen oder transatlantischen Beziehungen und wollen sie weiter ausbauen. Südafrika überwand mit Nelson Mandelas Hilfe in vielen kämpferischen Jahren die Apartheid und ist gar Gastgeber für die Fußballweltmeisterschaft 2010.

Als weitere Schwierigkeit kommen die – keineswegs nur sprachlichen - Diskrepanzen zwischen unzähligen ethnischen Gruppen hinzu, angefangen bei den Tuareg oder den Massai im Norden, über die zahlreichen Bantu-Stämme, Hutis, Bembas oder Tutsis in Zentralafrika bis zu den Zulus, Sothos, Xhosas oder Swasis im Süden. Die Völker besitzen keine gemeinsame Identität. Sie fühlen sich nicht als Afrikaner, sondern als Angehörige ihres Stammes. Meist finden sich jahrhundertealte Erzfeindschaften zwischen vielen Völkern. Nicht zuletzt die Besetzungen durch verschiedene Kolonialmächte förderten die Konflikte der afrikanischen Stämme untereinander und irritierten sie in der Wahrnehmung ihrer eigenen Kultur.

Diese Kluften gilt es zuvorderst zu überwinden. Hierfür rief 2001 eine Elite afrikanischer Staatsoberhäupter die Afrikanische Union (AU) ins Leben – nach dem Vorbild der Europäischen Union. Das Bündnis resultierte aus der 1963 gegründeten „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) und sah ihre Notwendigkeit nicht länger in der Bekämpfung des Kolonialismus sowie der Kooperation nach einer Epoche der Unterdrückungen, sondern in der „Integration im Zeitalter der Globalisierung“. Soll heißen: vom Kuchen des globalen Marktes will Afrika sich nicht länger mit den Krümeln begnügen.

Der Nachbar als Vorbild

An der Spitze der AU steht Alpha Oumar Kanaré – ehemaliger Präsident von Mali – und bündelt die Hoffnungen der insgesamt 53 afrikanischen Mitgliedsstaaten. Weil er sein Volk aus der Unterdrückung in die demokratische Freiheit geführt hat und dabei die tradierten Kriege gegen die Tuareg beenden konnte, wird er als wahrer Demokrat und Diplomat gehandelt. Er soll im Amt des Kommissionspräsidenten den riesigen Kontinent aus der Versenkung heben und für den Welthandel salonfähig machen. Die Ziele definiert die AU sehr klar, und zwar in Anlehnung an das kontinentale Nachbarmodell: ein panafrikanisches Parlament, eine gemeinsame Zentralbank, ein kontinentaler Gerichtshof und letztlich sogar eine gemeinsame Währung sollen entstehen. Das sind große Pläne, bedenkt man, dass in Afrika noch immer wortlos Unrechtsregime gebilligt werden und gewalttätige Unruhen an der Tagesordnung sind. Jüngst wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen Eritrea und Äthiopien abgebrochen, ein erneuter Krieg um die Grenze ist nicht unwahrscheinlich. Während im Juli 2005 weltweit auf dem Live8-Festival gegen die Ungerechtigkeit auf dem schwarzen Kontinenten musiziert wurde, rollten in Simbabwe Bulldozer die Häuser von Regierungskritikern platt. Tausende von Familien mussten Nächte bei Temperaturen bis unter null Grad ohne Dach über dem Kopf überstehen. Auf dem fröhlichen Musikereignis – bei dem übrigens kaum schwarze Musiker teilnahmen - fand dies jedoch keine Erwähnung.

Hinzu kommt, dass Präsidenten wie Robert Mugabe noch heute als Denkmal der Dekolonialisierung innerhalb Afrikas mit entsprechendem Respekt behandelt werden. Man würde es nicht wagen ihn politisch unter Druck zu setzen. Man könnte sagen, es handelt sich hierbei um unausgesprochene innerafrikanische Verpflichtungen, die ihren Ursprung in den gemeinsamen Erfahrungen der Kolonialzeit haben. Gut finden es die reformorientierten Regierungsoberhäupter sicher nicht, was Mugabe in seinem Land treibt, doch die historische Erinnerung an die Bekämpfung der fremdländischen Besetzung siegt bisher noch über die neue Ideologie. Eine Abordnung der AU versucht, mit friedlichen und kollegialen Mitteln den Präsidenten aus Simbabwe zum Umdenken zu bewegen. Es ist ein langwieriger Prozess der Selbstfindung eines Kontinents, an dessen Anfang immer die verbale Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen stehen muss. Deshalb wünschen sich die Reformer aus Afrika und auch Horst Köhler für die Zukunft, dass gerade diese Regierungschefs mit am Konferenztisch sitzen.

Was eine ganzheitliche afrikanische Union braucht ist Zeit. Und die ist rar im Hinblick auf die immer rascher ansteigenden Anforderungen in einer globalisierten Welt. Es muss nicht nur so schnell wie möglich, sondern auch nachhaltig gehandelt werden – das zeigten uns noch vor wenigen Wochen die Anstürme schwarzer Flüchtlinge auf die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla. Wäre von europäischer Seite vorzeitig auf die Wanderbewegungen eingegangen worden, hätten die gewalttätigen Auseinandersetzungen vielleicht vermieden werden können. Die illegale Auswanderung aus Afrika ist zudem ein seit Jahren bekanntes Problem, das jedoch nur selten den Weg in die Öffentlichkeit schafft. Erst durch die Aufschreie einer verzweifelten schwarzen Menschenmasse an den Sicherheitszäunen zum vermeintlichen Paradies wurde auch Spanien einsichtig, dass sich etwas ändern müsse. Nun soll Marokko mit finanzieller Unterstützung der Nato die Grenzwälle noch unüberwindbarer und so die Landflucht gänzlich unmöglich machen. Wie wäre es, wenn die EU an Attraktivität verlöre? Weitere Verbarrikadierungen der Enklaven nützen nur oberflächlich und packen das Problem nicht an der Wurzel. Das Wohlstandsgefälle zwischen Afrika und der EU bleibt bestehen.

Für weltpolitische Probleme diesen Formates ist der Ansatz eines partnerschaftlichen Treffens zukunftsweisend. Eine gemeinsame Strategie und das Ziel die Korruption zu bekämpfen ist eine wichtige Maxime. Ein funktionierender Staat ist die Voraussetzung für die Bekämpfung der Missstände in den Ländern Afrikas. Aber eben nur eine der Voraussetzungen für einen wachsenden und irgendwann stabilen Binnenmarkt. Selbst mit den besten Vorsätzen und dem größtmöglichen Enthusiasmus vermag es auch nicht die AU alleine einen Wandel auf die Schnelle heraufzubeschwören. Sie ist auf die Hilfe der westlichen Nationen angewiesen, insbesondere auf die von Europa. Viele europäische Politiker haben das bereits erkannt. Auf den EU-Sondergipfeln der letzten Wochen stand ein Punkt in der Agenda immer oben auf: die Verhandlungen um die Kürzungen der Agrarsubventionen. Was das mit Afrika zu tun hat? Sehr viel. Brüssel vergibt jährlich mehrere Milliarden Euro für die Förderung europäischer Bauern zur Stabilisierung des heimischen Agrarmarktes. Der Löwenanteil dieser Subventionen geht an Frankreich, es ist ein starkes Agrarland der EU. Klingt zunächst gut für die Bauern. Aber: Durch die Subventionen sind europäische Landwirte in der Lage ihre Produkte auf einigen afrikanischen Märkten noch unter dem Preis der lokalen Bauern anzubieten. Einfache Konsequenz: Wer in Maputo im Supermarkt steht und das billigste Obst oder Gemüse kaufen will, der greift höchstwahrscheinlich zur französischen Importware. Was das für die einheimischen Bauern bedeutet, liegt auf der Hand. Erinnert dieses Prinzip nicht an eine alte und eigentlich längst abgeschaffte Kolonialpolitik? Ist es nicht statt der politischen oder militärischen nun eine viel subtilere Art der Suppression, die zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil Afrikas Märkte unterwandert, ohne Rücksicht auf Verluste? Denn eines ist sicher: Die Entwicklung der Länder Afrikas zu souveränen Handelsstaaten ist somit blockiert.

Afrika will sich selbst entwickeln

Und noch ein Punkt wird auf der Petersberger Konferenz zur Sprache kommen: das Image des klassischen Afrikas, das sein Schicksal vorzugsweise in die Hände eines anderen legt, anstatt selbst die Ärmel hoch zu krempeln. Die „New Partnership for Africa’s Development“ (NEPAD) – gewissermaßen eine Tochterorganisation der afrikanischen Union - arbeitet gegen dieses Image an und hält einen Paradigmenwechel für möglich. Afrika ist bereit sich international zu positionieren, gibt man ihm nur die Chance. Denn in den westlichen Ländern haben viele Angst vor dem Aufbruch des schwarzen Kontinents, einer Chancengleichheit und einer Neuordnung der Welt. Das mag ganz pragmatisch an den ökonomischen Veränderungen liegen, an die sich auch die Europäer erst einmal gewöhnen müssen. Vielleicht quält den einen oder anderen aber auch der Gedanke für jahrzehntelange Untätigkeit nun die Quittung zu erhalten. Es wird sicherlich nicht nur Gewinner geben können, doch der Weg in die Gerechtigkeit fordert Opfer. Wer mitmacht wird gewinnen. Die Kraft, die von denen ausgeht, die grundlegend etwas verändern wollen ist längst zu spüren, doch sie muss kanalisiert werden. Das vermag weder die Afrikanische Union noch die EU im Alleingang. Es müssen gemeinsam langfristige Lösungen gefunden werden, um die Souveränität des Kontinents zu stützen und ihm die Möglichkeit zu bieten am Welthandel teilzuhaben. Dafür sind Konferenzen wie das Afrika-Forum auf dem Petersberg in Bonn unverzichtbar und längst überfällig.

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Turin - 5. Nov, 12:24

ok, die letzten zwei Absätze hab ich nimmer geschafft ... aber bis dahin *g:

Wird nicht seit zwanzig und mehr Jahren "Hilfe zur Selbsthilfe" mit Afrika betrieben? Ihnen Milliarden-Kredite gewährt und diese dann ein Jahrzehnt später wieder erlassen?

Während in Südafrika immer noch weiße Siedler ihre schwarzen Angestellten an Löwen verfüttern weil die kündigen wollen (so zumindest vor paar Wochen gelesen)?

Ich weiß nicht, ob Afrikas Probleme in der Öffentlichkeit ignoriert werden oder nicht eher eine gewisse Resignation vorherrscht - gerade weil das heraushieven eines so riesigen, komplexen Kontinents aus teilweise archaischen Zuständen in eine demokratische Gesellschaft so unendlich lange dauert. Von daher ... ich weiß nicht .. auch die Früchte der Petersburger Konferenz werden sich vermutlich erst zeigen, wenn ich schon Kinder habe. Fühl da irgendwie wenig Begeisterung aufkommen *g*

Trau Dich!

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