Die Cicero Affäre
Wer ist der Souverän? Das Grundgesetz ist eindeutig: das Volk. Und wer informiert das Volk? Das Grundgesetz ist eindeutig: die Presse – ohne jegliche Zensur des Staates. Ohne die Presse ist das Volk den Majestäten ausgeliefert, die selber entscheiden dürften, was die Bürger erfahren sollen. An Kritik, und sei sie auch noch so hämisch, geht die Demokratie nicht zugrunde. Doch wer die Kritiker mundtot macht, zerbröselt die Demokratie und macht das Volk zu einem dummen Volk.
„Am 12. September 2005, gegen 8 Uhr 12 deutscher Zeit, meldet sich ein Unbekannter auf der Mailbox von Bruno Schirra. Er nennt seinen Namen und bittet den Journalisten, er möge ihn doch umgehend zurückrufen. Man sei gerade auf seinem Grundstück in Berlin und beabsichtige, sein Haus zu durchsuchen.”
So abenteuerlich begann die Razzia bei dem Journalisten Bruno Schirra auf der Insel Valentinswerder bei Berlin - und gleichzeitig in der Redaktion der Zeitschrift „Cicero” in Postdam. Die Folgen sind bekannt: Wegen des Verdachts der Beihilfe zum Geheimnisverrat durchsuchten Ermittler des Landeskriminalamts die Anwesen, kopierten eine Computerfestplatte und beschlagnahmten kistenweise Material.
Nur was sie suchten, fanden sie nicht: Hinweise auf die Quelle, aus welcher der Reporter seine Informationen für einen hochbrisanten Artikel vom April dieses Jahres schöpfte, der von dem international gesuchten islamistischen Terroristen Abu Mussab al Zarqawi handelte. Drastischer gesagt: den „Verräter“ in den eigenen Reihen zu enttarnen. Brisant an dem Stück war, daß es darauf hindeutete, daß Al Zarqawis Gruppe an der Vorbereitung eines Angriffs mit Chemiewaffen arbeite. Mögliches Ziel: Europa. In Zeiten, in denen die Europäer mit diplomatischen Mitteln versuchen, den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen, ist das natürlich eine sehr, sehr unangenehme Nachricht.
Offenkundige Einschüchterungsaktion
Bei der Razzia ging es angeblich darum, einen Informanten aus dem BKA namhaft zu machen. Das gelang nicht. Bei Cicero konnte sich die Obrigkeit was trauen: Ermittler der Staatsanwaltschaft stellten knapp acht Stunden lang die Räume des Cicero-Mitarbeiters Bruno Schirra auf den Kopf und nahmen 15 Kisten voller Unterlagen mit. Es war eine offenkundige Einschüchterungsaktion, denn das beschlagnahmte Material über die Leuna-Affäre und andere Recherchefrüchte aus rund zehn Jahren Arbeit hatten ersichtlich nichts mit dem Anlass der Ermittlungen zu tun.
Der Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jürgen Koppelin, erklärte am Mittwoch, die Durchsuchung der Redaktion von Cicero berühre grundlegende Fragen der Pressefreiheit. „Und Pressefreiheit wird nicht durch Innenminister Otto Schily gewährt, sondern ist ein Grundrecht unserer Verfassung.“
L’état c’est moi
Kritik an der Regierung wird zur Majestätsbeleidigung erhoben und das Recht der Presse, Missstände aufzudecken und die Wahrheit zu schreiben, als Verbrechen deklariert. Dieser öffentliche Abschied von der Pressefreiheit, den Verlegern und Chefredakteuren höchstpersönlich überbracht, ist der Höhepunkt von Schikanen der letzten Jahre. Einer Statistik des Deutschen Journalisten-Verbandes zufolge soll es allein in den Jahren 1997 bis 2000 hundertfünfzig Durchsuchungen der Presse gegeben habe. „Cicero” ist also nur der jüngste von vielen Fällen.
Innenminister Otto Schily hatte vorigen Donnerstag vor dem Bundestag in einer von der FDP anberaumten Sondersitzung zu der Kritik Stellung nehmen müssen. Dabei wies er die Schuld von sich. Er habe keineswegs die Durchsuchung persönlich angeordnet; vielmehr habe er, wie beim Verdacht auf Geheimnisverrat vorgeschrieben, die Ermächtigung zu Ermittlungen erteilt - ein "formaler Akt", bei dem nicht abzusehen gewesen sei, ob und zu was für einer Art Durchsuchung und Beschlagnahme es kommen würde.
„Geheimnisverrat“, so Schily, „ist nicht irgendeine Ordnungswidrigkeit. So kann man mit dem Staat nicht umspringen.“ Und mit ihm, dem Verantwortlichen für das BKA, erst recht nicht. In solchen Sätzen erscheinen Schily und Staat wie Synonyme: L’état c’est moi. In solchen Sätzen geht es nur um das Prinzip, nicht um Verhältnismäßigkeit oder politische Klugheit. Heribert Prantl, Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung, wies Schily auf die Sprengkraft der Aktion hin: Zwei Minister mussten 1962 gehen, als Vergleichbares beim Spiegel geschah: „Nur dass diesmal das Opfer nicht Rudolf Augstein heißt.“
Doch der Minister sah geradezu die Machtfrage berührt: „Wir lassen uns nicht das Recht des Staates nehmen, seine Gesetze durchzusetzen.“ Mit geduldigen Erklärungen, drohte Schily, sei es nun nicht mehr getan: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Diskretion im Staat da, wo sie notwendig ist, auch durchsetzen.“ Wegen „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ seien alle Journalisten zu verfolgen, die sich geheime Papiere wie „eine Trophäe“ ansteckten und damit die Arbeit des Staates behinderten: „Stichwort Cicero“. Das Stichwort saß. Die Durchsuchung beim Potsdamer Monatsblatt vor gut zwei Wochen ist das bislang heftigste von Schily statuierte Exempel seiner neuen Auslegung von Pressefreiheit.
Leck in den eigenen Reihen
Dennoch: Das Magazin „Cicero” sieht nicht ein, warum es - Souverän hin oder her - nicht möglich sein soll, über die Aktivitäten von Terroristen zu berichten, die einen „chemischen Megaanschlag” mit mindestens 80.000 Toten in Jordanien geplant haben sollen, ebenso in Großbritannien, andere Länder nicht ausgeschlossen. Die Angaben darüber, sagt der Reporter Schirra in „Cicero”, fußten auch nicht allein auf der ominösen BKA-Akte, hinter der Schilys Ermittler her waren, offenbar um ein Leck in den eigenen Reihen aufzudecken. Dem Journalisten ging es darum, die Wege des Terroristen nachzuzeichnen, der in der internationalen Geheimdienstgemeinde als der „zur Zeit tatsächlich gefährlichste Mann der Welt” gelte.
In der Branche ist bekannt, dass Schily seit Jahren mit Lecks in seinem Haus zu kämpfen hat. Längst wird in Berlin die Frage gestellt, warum gerade unter seiner, für ihren durchaus eigenwilligen Stil bekannten Führung Illoyalitäten von Beamten geschehen. Schily behauptet, Journalisten würden gar „Ermittlungsergebnisse“ gefährden. Nun ist dies gerade im Falle Cicero nicht der Fall. Hier wusste die betroffene Behörde sechs Wochen vor Drucklegung, dass der betroffene Journalist die brisanten Papiere besaß – er hatte sich selbst gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Jedoch traf sich die Amtsleitung erst Tage nach dem Artikel mit ihm, friedlich plaudernd über Stunden. Und es dauerte wieder zweieinhalb Monate, bis man die angebliche Strafbarkeit erkannte und Anzeige erstattete.
Selbstverständlich sind Redaktionen kein rechtsfreier Raum, weshalb Ermittlungsbehörden Straftaten dort ebenso verfolgen dürfen wie anderswo. Allerdings wird die Pressefreiheit – nach Erfahrungen mit totalitären Staaten – als ein so hohes Rechtsgut geachtet, dass das Grundgesetz sie besonders schützt. Pressefreiheit basiert dabei auf der grundsätzlichen Möglichkeit, Missstände gerade dann zu beschreiben, wenn andere sie lieber verschweigen. Da dies ohne geheim gehaltene Informationen in der Regel unmöglich ist, schmälert potenziell jede Durchsuchung von Redaktionsräumen die Chance, Missstände aufzudecken. Denn die Furcht vor Enttarnung, die mit persönlichen Nachteilen für den Informanten verbunden ist, wird wohl viele zum Schweigen bringen.
„Am 12. September 2005, gegen 8 Uhr 12 deutscher Zeit, meldet sich ein Unbekannter auf der Mailbox von Bruno Schirra. Er nennt seinen Namen und bittet den Journalisten, er möge ihn doch umgehend zurückrufen. Man sei gerade auf seinem Grundstück in Berlin und beabsichtige, sein Haus zu durchsuchen.”
So abenteuerlich begann die Razzia bei dem Journalisten Bruno Schirra auf der Insel Valentinswerder bei Berlin - und gleichzeitig in der Redaktion der Zeitschrift „Cicero” in Postdam. Die Folgen sind bekannt: Wegen des Verdachts der Beihilfe zum Geheimnisverrat durchsuchten Ermittler des Landeskriminalamts die Anwesen, kopierten eine Computerfestplatte und beschlagnahmten kistenweise Material.
Nur was sie suchten, fanden sie nicht: Hinweise auf die Quelle, aus welcher der Reporter seine Informationen für einen hochbrisanten Artikel vom April dieses Jahres schöpfte, der von dem international gesuchten islamistischen Terroristen Abu Mussab al Zarqawi handelte. Drastischer gesagt: den „Verräter“ in den eigenen Reihen zu enttarnen. Brisant an dem Stück war, daß es darauf hindeutete, daß Al Zarqawis Gruppe an der Vorbereitung eines Angriffs mit Chemiewaffen arbeite. Mögliches Ziel: Europa. In Zeiten, in denen die Europäer mit diplomatischen Mitteln versuchen, den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen, ist das natürlich eine sehr, sehr unangenehme Nachricht.
Offenkundige Einschüchterungsaktion
Bei der Razzia ging es angeblich darum, einen Informanten aus dem BKA namhaft zu machen. Das gelang nicht. Bei Cicero konnte sich die Obrigkeit was trauen: Ermittler der Staatsanwaltschaft stellten knapp acht Stunden lang die Räume des Cicero-Mitarbeiters Bruno Schirra auf den Kopf und nahmen 15 Kisten voller Unterlagen mit. Es war eine offenkundige Einschüchterungsaktion, denn das beschlagnahmte Material über die Leuna-Affäre und andere Recherchefrüchte aus rund zehn Jahren Arbeit hatten ersichtlich nichts mit dem Anlass der Ermittlungen zu tun.
Der Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jürgen Koppelin, erklärte am Mittwoch, die Durchsuchung der Redaktion von Cicero berühre grundlegende Fragen der Pressefreiheit. „Und Pressefreiheit wird nicht durch Innenminister Otto Schily gewährt, sondern ist ein Grundrecht unserer Verfassung.“
L’état c’est moi
Kritik an der Regierung wird zur Majestätsbeleidigung erhoben und das Recht der Presse, Missstände aufzudecken und die Wahrheit zu schreiben, als Verbrechen deklariert. Dieser öffentliche Abschied von der Pressefreiheit, den Verlegern und Chefredakteuren höchstpersönlich überbracht, ist der Höhepunkt von Schikanen der letzten Jahre. Einer Statistik des Deutschen Journalisten-Verbandes zufolge soll es allein in den Jahren 1997 bis 2000 hundertfünfzig Durchsuchungen der Presse gegeben habe. „Cicero” ist also nur der jüngste von vielen Fällen.
Innenminister Otto Schily hatte vorigen Donnerstag vor dem Bundestag in einer von der FDP anberaumten Sondersitzung zu der Kritik Stellung nehmen müssen. Dabei wies er die Schuld von sich. Er habe keineswegs die Durchsuchung persönlich angeordnet; vielmehr habe er, wie beim Verdacht auf Geheimnisverrat vorgeschrieben, die Ermächtigung zu Ermittlungen erteilt - ein "formaler Akt", bei dem nicht abzusehen gewesen sei, ob und zu was für einer Art Durchsuchung und Beschlagnahme es kommen würde.
„Geheimnisverrat“, so Schily, „ist nicht irgendeine Ordnungswidrigkeit. So kann man mit dem Staat nicht umspringen.“ Und mit ihm, dem Verantwortlichen für das BKA, erst recht nicht. In solchen Sätzen erscheinen Schily und Staat wie Synonyme: L’état c’est moi. In solchen Sätzen geht es nur um das Prinzip, nicht um Verhältnismäßigkeit oder politische Klugheit. Heribert Prantl, Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung, wies Schily auf die Sprengkraft der Aktion hin: Zwei Minister mussten 1962 gehen, als Vergleichbares beim Spiegel geschah: „Nur dass diesmal das Opfer nicht Rudolf Augstein heißt.“
Doch der Minister sah geradezu die Machtfrage berührt: „Wir lassen uns nicht das Recht des Staates nehmen, seine Gesetze durchzusetzen.“ Mit geduldigen Erklärungen, drohte Schily, sei es nun nicht mehr getan: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Diskretion im Staat da, wo sie notwendig ist, auch durchsetzen.“ Wegen „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ seien alle Journalisten zu verfolgen, die sich geheime Papiere wie „eine Trophäe“ ansteckten und damit die Arbeit des Staates behinderten: „Stichwort Cicero“. Das Stichwort saß. Die Durchsuchung beim Potsdamer Monatsblatt vor gut zwei Wochen ist das bislang heftigste von Schily statuierte Exempel seiner neuen Auslegung von Pressefreiheit.
Leck in den eigenen Reihen
Dennoch: Das Magazin „Cicero” sieht nicht ein, warum es - Souverän hin oder her - nicht möglich sein soll, über die Aktivitäten von Terroristen zu berichten, die einen „chemischen Megaanschlag” mit mindestens 80.000 Toten in Jordanien geplant haben sollen, ebenso in Großbritannien, andere Länder nicht ausgeschlossen. Die Angaben darüber, sagt der Reporter Schirra in „Cicero”, fußten auch nicht allein auf der ominösen BKA-Akte, hinter der Schilys Ermittler her waren, offenbar um ein Leck in den eigenen Reihen aufzudecken. Dem Journalisten ging es darum, die Wege des Terroristen nachzuzeichnen, der in der internationalen Geheimdienstgemeinde als der „zur Zeit tatsächlich gefährlichste Mann der Welt” gelte.
In der Branche ist bekannt, dass Schily seit Jahren mit Lecks in seinem Haus zu kämpfen hat. Längst wird in Berlin die Frage gestellt, warum gerade unter seiner, für ihren durchaus eigenwilligen Stil bekannten Führung Illoyalitäten von Beamten geschehen. Schily behauptet, Journalisten würden gar „Ermittlungsergebnisse“ gefährden. Nun ist dies gerade im Falle Cicero nicht der Fall. Hier wusste die betroffene Behörde sechs Wochen vor Drucklegung, dass der betroffene Journalist die brisanten Papiere besaß – er hatte sich selbst gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Jedoch traf sich die Amtsleitung erst Tage nach dem Artikel mit ihm, friedlich plaudernd über Stunden. Und es dauerte wieder zweieinhalb Monate, bis man die angebliche Strafbarkeit erkannte und Anzeige erstattete.
Selbstverständlich sind Redaktionen kein rechtsfreier Raum, weshalb Ermittlungsbehörden Straftaten dort ebenso verfolgen dürfen wie anderswo. Allerdings wird die Pressefreiheit – nach Erfahrungen mit totalitären Staaten – als ein so hohes Rechtsgut geachtet, dass das Grundgesetz sie besonders schützt. Pressefreiheit basiert dabei auf der grundsätzlichen Möglichkeit, Missstände gerade dann zu beschreiben, wenn andere sie lieber verschweigen. Da dies ohne geheim gehaltene Informationen in der Regel unmöglich ist, schmälert potenziell jede Durchsuchung von Redaktionsräumen die Chance, Missstände aufzudecken. Denn die Furcht vor Enttarnung, die mit persönlichen Nachteilen für den Informanten verbunden ist, wird wohl viele zum Schweigen bringen.
mrpink - 25. Okt, 15:09
1 Kommentar - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
7an - 25. Okt, 17:38
ZEIT-Redakteur Robert Leicht beschreibt in einem Artikel sehr gut, warum die Durchsuchung gerechtfertigt war und warum sich Schirra nicht auf die Pressefreiheit berufen kann.
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