Sonntag, 6. März 2005

Schadensbericht, Mr. Spock!

Das Hinterrad drehte sich im Leeren und der Lichtkeil, den der Scheinwerfer in die Staubwolke trieb, verlor sich schon nach wenigen Metern. Und überall Sterne. Obwohl in den frühen Abendstunden dichte Wolken, als Vorboten des schlechten Wetters der kommenden Tage, den Nachthimmel verdeckten, funkelte es um mich herum. Ein feiner kühler Strahl sprühte mir aus einer aufgerissenen Bierdose ins Gesicht.

Nun, es gibt Schlimmeres, als in einer schwülen thailändischen Nacht, mit kühlem Bier besprenkelt zu werden. Aber es gibt auch Besseres als nachts um drei auf einer steinigen Dschungelstrasse der Insel Phan Ngan nach einem Motorradunfall im Dreck zu liegen. Der Fahrer, der vor wenigen Sekunden noch vor mir gesessen hatte und verzweifelt um das Gleichgewicht der Maschine gekämpft hatte, lag einige Meter den Hang hinunter und rührte sich nicht.

Zeit, den Schadensbericht abzufragen. Wenn das auf der Enterprise eine gängige Prozedur nach einer Klingonen-Attacke war, musste es auch in dieser Situation sinnvoll sein. Ich bin kein Trekkie, außerdem war ich bemerkenswert hart mit dem Kopf auf einen Fußball großen Stein geschlagen. Wer war noch mal für den Schadensbericht im Weltraum zuständig? Spock, Scottie? Oder Uhura? Eigentlich lag die Entscheidung ja bei mir, denn ich war ja immer noch der Captain des lädierten Schiffes. Ich beauftragte Mr. Spock, weil ich ihn von allen Darstellern am sympathischsten fand. Die Sterne verflogen und Spock verkündete: "Die Schäden auf der Brücke sind gering. (er hatte wohl Recht, denn außer einigen großen, pochenden Beulen am Kopf fand ich keine Blessuren). Aber der Antrieb hat einiges abbekommen." Womit der Vulkanier recht hatte. Ein kurzer Blick in meine Hose verriet, dass ich mir den Arsch aufgerissen hatte. Außerdem hatte ich mir, beim verzweifelten Absprung von dem fallenden Zweirad gehörig die Hüfte verrenkt.

Danke Mr. Spock. Während ich mich auf allen Vieren auf den Weg zum immer noch reglosen Fahrer machte, bemerkte ich die Schulter, ignorierte sie aber. Gerade als ich um den Fahrer herumkroch, richtete auch er sich auf.

Thai ist eine vergleichsweise einfache Sprache, mit wenigen, meist einsilbigen Worten. Um so mehr überraschte es mich daher wie kreativ der Fahrer, der jetzt auch seine Sprache wieder gefunden hatte, die saftigsten Kraftausdrücke mit anderen saftigen Kraftausdrücken kombinierte und so ein Feuerwerk an Flüchen in die Nacht schickte. Und weil er sich nicht unterbrechen ließ und weil auch ich meinem Schreck und meinem Unmut gerne Luft machte, saßen wir einige Minuten nebeneinander im Staub und formten auf Thai, Deutsch und Englisch Wortungetüme, wie man sie auf der Enterprise nie gehört hatte. Irgendwann verscheuchte Lachen unserer Hasstiraden und ich machte mich mit der Taschenlampe an meinem Schlüssel daran, den Schadensbericht meines Fahrers aufzunehmen. Anders als ich hatte er kein T-Shirt getragen, dafür aber eine lange Hose. Doch auch die hatte die steinige Piste nicht daran gehindert sein rechtes Knie in ein blutiges Stück Fleisch zu verwandeln und der Dreck hatte sich tief in die Abschürfungen an seinem Oberkörper gerieben.

Nachdem er sich nach meinem Befinden erkundet hatte, galt sein Interesse seinem Motorrad. Nachdem es uns abgeworfen hatte, wünschte ich dem Vehikel, dass es augenblicklich in Flammen aufging, aber als Einzigstes von uns Dreien hatte es den Salto unbeschadet überstanden.

motobike
Quelle: Postbote

Zu meiner Hütte war es noch ein Gutes Stück, aber der Fahrer wollte mich laufen lassen und wieder zurück ins Dorf. Ich klärte ihn darüber auf, dass, wenn er morgen nicht in Eiter aufwachen wollte, eine Reinigung der Wunden notwendig sei.

Er weigerte sich. Ich bestand darauf. To make a long story short: Ich verbrachte die nächsten Stunden in Latexhandschuhen - die ebenso wie das Desinfektionsmittel vor meiner Abreise aus Deutschland glücklicherweise nicht meinen Gepäck-minimierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen waren - und verarztete uns.

Auch in Thailand gibt es eine Helmpflicht. Ebenso eine Promillegrenze. Der Fahrer hatte gegen beide verstoßen. Jedes Mal, wenn ich Desinfektionslösung auf seine Wunden sprühte, gab er einen gequälten Laut von sich. Und je mehr mir bewusst wurde wie leichtfertig er unsere Unversehrtheit aufs Spiel gesetzt hatte, um so großzügiger desinfizierte ich. "Hygiene muss seine, mein Freund. Muss sein."

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